Gleichstellung der Geschlechter für gerechte Gesellschaften

Geschlecht ist ein soziales Konstrukt. Menschen besetzen unterschiedliche soziale Positionen, die je nach Geschlechtsidentität, sexueller Orientierung, Religionszugehörigkeit, Bildungsmöglichkeit, Klasse, Behinderung, Rassifizierung, Alter und Herkunft variieren.

Trotz langsamer Fortschritte sind Frauen in der Schweiz immer noch in verschiedenen Bereichen diskriminiert. Ein struktureller Grund der Benachteiligung liegt in der fehlenden Anerkennung und ungleichen Aufteilung der Care-Aufgaben: Frauen leisten 60% der unbezahlten Haus- und Familienarbeit, jedoch nur 40% der bezahlten Erwerbsarbeit. Damit verfügen sie über weniger Einkommen und sind im Alter schlechter abgesichert. Die solidarisch finanzierte AHV allein reicht nicht für eine Existenzsicherung aus. Mit tiefen Pensen und Einkommen sind viele Frauen in den Pensionskassen gar nicht oder ungenügend versichert.

Frauen sind in den Care-Berufen der Pflege und Betreuung übervertreten. Gerade in diesen Berufen sind Bezahlung und Arbeitsbedingungen oft schlecht. Besonders prekär bleiben die Anstellungsbedingungen von Care-Migrantinnen in Privathaushalten, die oft rund um die Uhr einsatzbereit sein müssen. Für mehr Gleichstellung ist es dringend notwendig, in allen Care-Berufen ausreichend Personal auszubilden und die Arbeitsbedingungen in Pflege- und Betreuungsberufen zu verbessern. Mit der Annahme der Pflegeinitiative 2021 sind Bund und Kantone in der Pflicht, die Arbeitsbedingungen in Pflegeberufen zu verbessern und stärker in die Ausbildung zu investieren.

Im Vergleich zu Nachbarländern weist die Schweiz eine sehr kurze Mutter- und Elternzeit auf. Zudem fehlt hierzulande bislang ein vorgeburtlicher Mutterschutz.

Frauen sind in Führungsetagen stark untervertreten, im Tieflohnbereich dafür stark übervertreten. Dies wirkt sich auch auf die Löhne aus. Doch Lohnunterschiede bestehen auch bei gleichwertiger Arbeit. Nur mit freiwilligen Massnahmen wird sich diese Lohndiskriminierung nicht beseitigen lassen.

Gemäss Amnesty International erlebten 22% der Frauen in der Schweiz bereits ungewollte sexuelle Handlungen. Gewalt in Paarbeziehungen wird seit 2004 im Strafrecht nicht mehr als «reine Privatsache» betrachtet. Über Femizide – jede 2. Woche wird in der Schweiz eine Frau von ihrem (Ex-) Partner umgebracht – wird von den Medien jedoch weiterhin als Einzelfall und Ausrutscher im Privaten berichtet und nicht als strukturelles Problem.

Ein besonders hohes Risiko für Ausbeutung und Gewalt besteht für Frauen ohne geregelten Aufenthaltsstatus (Sans-Papiers) sowie für Frauen, deren Aufenthaltsstatus vom Ehemann abhängig ist.

Sexuelle Bildung ist ein wichtiges Instrument der Prävention von Sexismus und sexualisierter Gewalt. Sie hinterfragt Rollenstereotypen, fördert Selbstbestimmung und Vielfalt. Sie klärt auf über sexuelle Gesundheit und Rechte. In der Schweiz gibt es aber nicht überall schulische Angebote, die anerkannten fachlichen Qualitätskriterien entsprechen.

Sexuelle Gesundheit ist nicht für alle gewährleistet. Beispielsweise geflüchtete Frauen oder Sex-Arbeitende, sowie LGBTIQ+-Menschen erleben Einschränkungen.

Eine strukturelle Benachteiligung der Frauen findet sich auch bei der Ausgabenpolitik. Eine Analyse der Auswirkungen unseres Steuersystems auf Frauenrechte, wie es die UNO-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) verlangt, wurde vom Bundesrat bislang nicht durchgeführt.

Forderungen

  • Die Schweiz schafft existenzsichernde Altersrenten. Diese berücksichtigen die Care-Verpflichtungen während der Erwerbszeit. Die solidarische Finanzierung der Sozialversicherungen wird ausgebaut.
  • Bund, Kantone und Gemeinden bauen qualitativ gute Betreuungsangebote aus und sorgen für die nötige Finanzierung. Die Arbeitsbedingungen und Lohnsituation im Care-Bereich werden verbessert.
  • Die Arbeit in Privathaushalten (Care-Migrantinnen) wird ohne Ausnahmen dem Arbeitsgesetz unterstellt.
  • Die Schweiz führt eine vorgeburtliche Mutterschaftszeit ein. Sie verlängert die geburtsbezogene Mutterschafts- und Vaterschaftszeit und ergänzt sie mit einer paritätischen Elternzeit.
  • Um die Lohndiskriminierung bis 2030 zu beheben, definiert der Bund griffige Massnahmen und führt Kontrollen und Sanktionen ein.
  • Um die genaue Dimension und Entwicklung bei Femiziden zu erfassen, werden vollendete und versuchte Tötungsdelikte, die einen Bezug zu Geschlecht haben, in der Kriminalstatistik separat erfasst.
  • Die Schweiz setzt die Istanbul Konvention um und erarbeitet einen Aktionsplan zur Beseitigung geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt.
  • Bund und Kantone ergreifen Massnahmen, um Sans-Papiers Frauen und Frauen, deren Aufenthaltsstatus vom Ehemann abhängig ist, zu schützen.
  • Die Schweiz baut das Angebot an barrierefreier, niederschwelliger Gesundheitsversorgung im Bereich sexueller Gesundheit für alle aus. Sie setzt sich in der humanitären Hilfe und ihrer Entwicklungszusammenarbeit für den Zugang in Partnerländern ein.
  • Gleichstellungsbüros werden in ihrer hierarchischen Position und ihren Einflussmöglichkeiten aufgewertet und erhalten eine angemessene und langfristige Finanzierung.
  • Der Bund führt eine Analyse zu den Auswirkungen seiner Steuerpolitik auf Frauenrechte durch.
  • Der Bund verpflichtet sich zur vollständigen Umsetzung seiner internationalen Verpflichtungen zum Schutz der Frauen vor Diskriminierung und Gewalt. In einer intersektionalen Perspektive trifft er besondere Massnahmen zum Schutz von geflüchteten und irregularisierten Frauen, sowie Frauen mit Behinderungen.
Schassmann Eva
Autor:innen

Eva Schmassmann

In Zusammenarbeit mit Izabel Barros, cfd, Jana König, NGO-Koordination post Beijing Schweiz, Regula Bühlmann, Schweizerischer Gewerkschaftsbund, Susanne Rohner, Sexuelle Gesundheit Schweiz, Gaby Belz, Wirtschaft ist Care

Bericht als PDF

SDG 5 (PDF)

Weiterführende Literatur

Dieses Kapitel spricht Verbindungen zu folgenden SDGs an: