Nachhaltige Infrastruktur baut auf Menschenrechte

Nebst den Emissionen und der Klimabilanz steht für nachhaltige Infrastruktur die Zugänglichkeit und die Einhaltung der Menschenrechte im Zentrum. Sowohl im Inland wie im Ausland gilt es, betroffene Gruppen direkt in die Planung und Gestaltung von Infrastrukturprojekten einzubeziehen.

Die Schweiz hat sich mit dem Beitritt zur UNO-Behindertenrechtskonvention (BRK) verpflichtet, Menschen mit Behinderungen den gleichberechtigten Zugang zur physischen Umwelt, zu Transportmitteln, Information und Kommunikation zu gewährleisten (Artikel 9). Das Behindertengleichstellungsgesetzt (BehiG) will Rahmenbedingungen schaffen, die es Menschen mit Behinderungen erleichtern, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und selbstständig soziale Kontakte zu pflegen. Doch ist sein Geltungsbereich zu eng. Die Bestimmungen für hindernisfreie und für alle zugängliche Bauten und Anlagen gilt lediglich bei Neubauten und Renovation, bei Wohnbauten zudem nur ab einer gewissen Mindestgrösse. Der Zugang zu bestehenden Bauten wird durch das Gesetz nicht geregelt.

Der Zugang zu öffentlichem Verkehr und damit zu einer selbstbestimmten Mobilität ist der einzige Bereich, in dem das BehiG eine klare Frist setzt: bis Ende 2023 soll die Zugänglichkeit umgesetzt werden. Wie sich bereits abzeichnet, wird dieses Ziel klar verfehlt.

Diese Situation wird sich im Eisenbahnverkehr mit der verstärkten Zusammenarbeit auf europäischer Ebene noch verschärfen. Der Bundesrat übernimmt EU-Richtlinien, welche die Autonomie von Menschen mit Behinderungen nicht gewährleisten. Geplant ist zudem, dass vermehrt EU-Behörden Schweizer Eisenbahnfahrzeuge genehmigen. Dadurch wird insbesondere die Ausübung des Verbandsbeschwerderechts der Behindertenorganisationen, dessen Bedeutung als wichtiges Kontrollinstrument zuletzt im Verfahren betreffend die Doppelstockzüge der SBB gezeigt wurde, verunmöglicht.

International besteht in verschiedenen Ländern der Bedarf, Infrastrukturen in den Bereichen Energie, Anpassungen an den Klimawandel und für Transport auszubauen. Dies führte aber in der Vergangenheit und aktuell wiederholt zu Menschenrechtsverletzungen. Beispielsweise im Amazonas: Die brasilianische Regierung plant einerseits den Bau von grossen Dämmen und Dutzenden kleinen Wasserkraftwerken und damit einhergehende Überflutung von mehr als 78’000 Hektaren Land, die heute zum Teil als geschütztes Land der indigenen Gemeinschaften gelten. Dazu kommt der Ausbau von Eisenbahnlinien und Wasserstrassen quer durch den Amazonas, um Soja und andere Rohstoffe rasch in den Handel zu bringen. Dies würde die Transportkosten massiv senken, aber die Ausbeutung des Amazonas dramatisch beschleunigen. Das Mitspracherecht der indigenen Gemeinschaften wird bei diesen Mega-Projekten nicht eingehalten. Wenn sie gerichtlich vorgehen wollen, riskieren sie Gewalt. Vor brasilianischen Gerichten werden die Interessen des Staates und der Firmen regelmässig über die Rechte der Betroffenen gestellt. Finanzinstitute und Investoren aus der Schweiz investieren Milliarden in Firmen, die Interesse an der Realisierung der Projekte ausgedrückt haben, darunter die UBS, die Credit Suisse und die Zürcher Kantonalbank.

Forderungen

  • Bund, Kantone und Gemeinden setzen die UNO-Behindertenrechtskonvention umfassend um.
  • Der Bund erweitert den Geltungsbereich des Behindertengleichstellungsgesetzes. Die Hindernisfreiheit ist im Rahmen der Verhältnismässigkeit bei allen Bauten und Anlagen sicherzustellen, nicht nur bei Neubauten und Renovationen.
  • Die Schweiz fördert inklusives Design für alle. Sie berücksichtigt die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen von Beginn an in ihren Projekten.
  • Der Bundesrat gewährleistet, dass die Übernahme von EU-Richtlinien nicht die nationalen Anforderungen an die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen sowie deren Verbandsbeschwerderecht aushebelt.
  • Die Schweiz erarbeitet gesetzliche Mindeststandards für Investitionen im In- und Ausland bezüglich Sorgfaltspflichten für Mensch und Umwelt. Dazu gehört die Einhaltung der Mitspracherechte indigener Gesellschaften.
  • Die Schweiz ratifiziert die ILO-Konvention 169 und setzt das Recht auf freies, vorgängiges und informiertes Einverständnis indigener Gesellschaften um. Sie überwacht die Einhaltung dieses Rechts durch Schweizer Firmen und Investoren.
Schassmann Eva
Autor:innen

Eva Schmassmann

In Zusammenarbeit mit Caroline Hess-Klein, Inclusion Handicap und Christoph Wiedmer, Gesellschaft für bedrohte Völker

Bericht als PDF

SDG 9 (PDF)

Weiterführende Literatur
  • Caroline Hess-Klein, Eliane Scheibler: Aktualisierter Schattenbericht. Bericht der Zivilgesellschaft anlässlich des ersten Staatenberichtsverfahrens vor dem UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Inclusion Handicap. Februar 2022.
  • Gesellschaft für bedrohte Völker: „Todesprojekte“ im Amazonas. Die Sicht der Indigenen auf geplante Mega-Infrastrukturprojekte im Tapajós. September 2021

Dieses Kapitel spricht Verbindungen zu folgenden SDGs an: