Lektionen aus der Corona-Krise für die Klimapolitik

29. Mai 2020 | Gastbeitrag

Interview mit Jürg Staudenmann, Alliance Sud

Welche Auswirkungen hat COVID-19 auf nachhaltige Entwicklung? Die Plattform Agenda 2030 führt eine Reihe von Interviews mit Expertinnen und Experten aus unseren Mitgliederorganisationen.

 

Die Corona-Krise ist seit Wochen das dominante Thema in den Medien. Hat die Pandemie den Klimawandel verdrängt?

Höchstens in unseren Köpfen. Die globale Klimaveränderung macht natürlich keine Pause für einen Virus. Im Gegenteil: Die Ärmsten in den Ländern des Südens, die schon von der fortschreitenden Klimaveränderung gezeichnet waren, sind der derzeitigen Pandemie am ungeschütztesten ausgeliefert. Wie sollen Abstands- und Hygienemassnahmen in ariden Gegenden eingehalten werden können, wo Wasser an gemeinsamen Brunnen geschöpft werden muss? Gerade Frauen und Mädchen, die ja meistens fürs Wasserholen verantwortlich sind, sind nicht nur dadurch dem Virus viel stärker ausgesetzt. Sie sind es auch, die erkrankte Angehörige pflegen müssen.

Menschen in Entwicklungsländern sind also viel stärker durch COVID-19 betroffen als wir?

Eindeutig, ja. Sie stehen einer Multikrise gegenüber. Zum Beispiel in den Ländern Ostafrikas, die nach monatelanger Dürre und verheerender Heuschreckenplage von Starkniederschlägen und Überschwemmungen heimgesucht wurden. Zur prekären Ernährungs- und Gesundheitslage kommt nun noch COVID-19. Oder im Golf von Bengalen, wo der Superzyklon Amphan erst gerade grosse Landstriche verwüstete: Er traf ein durch die aufflammende Pandemie gezeichnetes Gesundheitssystem und die Bevölkerung mit voller Wucht.

Abgesehen von der Doppelbelastung, gibt es noch andere Gemeinsamkeiten zwischen der Klima- und der Coronakrise?

Einige Parallelen sind offensichtlich: Wie die Pandemie hält sich auch die Klimaveränderung nicht an Landesgrenzen und trifft besonders die Ärmsten. Und beides sind globale Herausforderungen, die nur durch Kooperation der Staaten gemeinsam angegangen werden können. Was wir vor allem aus der Coronakrise lernen können: Rechtzeitige Präventionsmassnahmen verhindern schwerwiegende und vor allem teure Folgen – oder andersherum: wenn wir nicht in Prävention investieren, kostet dies längerfristig wesentlich mehr.

Ist die Coronakrise also eine Lektion für die kommende Klimakrise?

In einigen Aspekten schon: Zum Beispiel haben wir gesehen, dass sowohl Politik als auch die Gesellschaft bereit sind, in einer Notlage auf wissenschaftlichen Rat zu hören und schnelle einschneidende Massnahmen zu treffen bzw. zu akzeptieren. Weil wir insbesondere in unseren Breitengraden die Klimaveränderungen sehr viel indirekter wahrnehmen, empfinden wir die Klimakrise noch nicht als eine solche.

Und dann gibt es auch ein paar klare Unterschiede. Zum Beispiel verschwindet der Treibhausgasüberschuss in der Atmosphäre nicht wie das Virus mit der Zeit von selbst. Die Klimakrise lässt sich nicht durch Lockdown vermindern; durch angemessene und zielgerichtete Hilfs-Finanzierung aber schon. Und genau da liegt meines Erachtens der grösste Unterschied zwischen Klima- und Coronakrise: Klimafinanzierung, also Gelder zur Bekämpfung der Ursachen und Auswirkungen der globalen Erwärmung sind im Gegensatz zu Hilfsgeldern im Pandemiefall keine à fond perdu, sondern sogenannte No-regret-Investitionen: Investitionen in erneuerbare Energien oder eine wetter-beständigere Landwirtschaft sorgen nicht nur vor, sondern generieren schon per se eine verbesserte Lebensgrundlage.

Es gibt noch einen denkwürdigen Unterschied: Obwohl die Wissenschaft anfänglich wenig über das neue Coronavirus wusste, wurden ihre Empfehlungen erhört und politische Entscheide gefällt und durchgesetzt. Genau umgekehrt verhält es sich mit der Klimawissenschaft: Die Ursachen und Mechanismen der viel gravierenderen Klimaveränderung sind viel besser bekannt. Und dennoch werden hier die wissenschaftlichen Warnungen und Handlungsempfehlungen – vor allem die rasche Dekarbonisierung – von Politik und Bevölkerung viel weniger ernst genommen.

Für die Bewältigung der Wirtschaftskrise in Folge des Coronavirus schnüren Regierungen nun aber grosse Konjunkturpakete. Bestehen Risiken in Bezug auf nachhaltige Entwicklung?

Es überwiegen eher die Chancen, wenn wir es nur richtig anpacken: Abgesehen von Überbrückungskrediten für kurzfristig wegbrechende Einkommen nehmen wir ja gerade viel neues Geld für mittelfristige Investitionen in die Hand. Wir haben als Gesellschaft ein Interesse daran, dass dieses ausschliesslich in zukunftstaugliche Sektoren und sozialverträglich investiert wird.

Das ist auch ökonomisch sinnvoller: Denn wer die schon totgeweihte fossile Wirtschaft künstlich am Leben erhalten will, wirft gutes Geld zum Fenster hinaus. Stattdessen könnte der ohnehin dringend nötige Umbau und die Umschulung betroffener Angestellter vorangetrieben werden. Leider hinkt da besonders die Schweiz sehr stark hinter anderen Ländern hinterher; beispielweise wenn man die Rettung der Swiss anschaut: Frankreich will seine Airline nur mit der Bedingung retten, dass sie künftig keine inländischen Zugsverbindungen mehr konkurrenziert.

Gerade im globalen Süden bieten sich zudem Synergien zwischen der Vorsorge gegen COVID-19-Folgen und Fortschritten im Klimaschutz sowie bei der Widerstandsfähigkeit gegen die Klimaveränderung. Aus diesem Grund ist es essenziell, Corona-Soforthilfe auf keinen Fall zulasten der Klima- oder Entwicklungsfinanzierung zu betreiben.

Das Interview wurde von Mario Huber geführt.

 

Dominik Gross
Jürg Staudenmann

Jürg Staudenmann, Internationale Umwelt- und Klimapolitik, Alliance Sud (© Daniel Rihs/Alliance Sud)

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