Artenschutz ist auch Gesundheitsprävention

27. Mai 2020 | Gastbeitrag

Interview mit Friedrich Wulf, Projektleiter Politik und Internationales, Pro Natura Schweiz

Welche Auswirkungen hat COVID-19 auf nachhaltige Entwicklung? Die Plattform Agenda 2030 führt eine Reihe von Interviews mit Expertinnen und Experten aus unseren Mitgliederorganisationen.

Ein Virus kommt und stellt unerwartet die ganze Welt auf den Kopf. Woran merkt denn Pro Natura, dass das Virus da ist?

Das Virus hat mit nahezu 2000 Toten in der Schweiz und notwendigen Beschränkungen unseres Alltags gravierende Folgen für uns alle. Aus Naturschutzperspektive jedoch ist das augenfälligste, dass die Menschen wieder mehr in ihre Gärten, aber auch in angrenzende Naherholungsgebiete und unsere Schutzgebiete gehen und Erholung suchen. Das ist natürlich einerseits gut so, und wir freuen uns über die damit verbundene Wertschätzung der Natur. Zum anderen setzen die vielen Menschen aber auch unsere Naturschutzgebiete unter Druck. Mehr denn je möchten wir unsere Besucherinnen und Besucher freundlich bitten, sich an die Regeln zu halten, Tiere und Pflanzen nicht zu stören und insbesondere in Schutzgebieten auf den Wegen zu bleiben.

Vireninfektionen wie Covid-19 haben oft einen Ursprung im Tierreich. Kannst Du uns diesen Zusammenhang zwischen Gesundheit von Mensch und Tier erklären?

Biodiversität, Tierwohl und menschliche Gesundheit hängen eng zusammen. Sars, Mers, Ebola, HIV, das neuartige Coronavirus und andere Krankheitserreger sind von Tieren auf Menschen übergegangen. Dabei spielen die Zerstörung natürlicher Lebensräume wie dem Regenwald und die artwidrige Haltung von Wild- und Nutztieren eine entscheidende Rolle. Fehlen den Tieren ihr Lebensraum und ihre Nahrungsquellen, zwingt sie dies, näher an den Menschen heranzurücken; missachten wir – etwa auf Wildtiermärkten oder in Massentierhaltungen – den Mindestabstand der Tiere untereinander und zum Menschen und halten wir diese unter mangelnden hygienischen Bedingungen, führt dies zu Ansteckungen und Epidemien.

Das bedeutet, dass wir die Natur nicht weiter zerstören und nicht weiter in neue Naturräume vordringen, aber auch dass wir Tiere nicht unter artwidrigen Bedingungen auf engem Raum einpferchen dürfen, wo sie sich gegenseitig und uns Menschen anstecken können – wie Covid-19 zeigt, breiten sich diese Infekte in der heutigen globalisierten Welt rasch weltweit aus.

Die Coronakrise zeigt, wie wichtig vorsorgliches Handeln ist. Welche Parallelen ziehst Du zu anderen Krisen, z.B. dem massiven Verlust von Biodiversität oder der Klimakrise?

Angesichts der Gefahr kollabierender Gesundheitssysteme haben Politik, Wirtschaft und Gesellschaft drastische Massnahmen ergriffen. Gewisse Kosten müssen wir jetzt tragen und damit verhindern, dass die Rechnung morgen infolge von Nichtstun nicht noch höher ausfallen wird.

Doch sie ist nicht die einzige gravierende Krise, die unser Überleben bedroht. Die Verarmung unserer natürlichen Lebensräume und das Aussterben von Lebewesen gefährden die Anpassungsfähigkeit der Ökosysteme und u.a. auch unsere Versorgungssicherheit mit Rohstoffen für Medikamente, Lebensmitteln und anderen Gütern des täglichen Bedarfs (wie z.B. saubere Luft, sauberes Wasser, fruchtbare Böden, Bestäubungsleistung der Insekten). Doch machen sich die Folgen erst mit jahrelanger Verzögerung bemerkbar. Auch hier sind jetzt drastische Massnahmen erforderlich, um noch schlimmere Schäden zu vermeiden.

Pro Natura fordert deshalb, dass wir jetzt in eine wirklich krisenfestere Welt investieren: Weg vom Wachstumszwang, von industrieller Landwirtschaft, von fossilen Brennstoffen, von Ausbeutung und Raubbau, weg auch von langen Transportwegen und der Ausbeutung von Menschen und Ressourcen in anderen Regionen. Dass im Angesicht der Krise Unternehmen nun wieder vermehrt auf europäische und regionale Bezugsquellen zurückgreifen, ist schon mal ein guter Anfang.

Können wir aus der Coronakrise auch etwas lernen? Kann sie uns helfen, eine nachhaltigere Gesellschaft aufzubauen?

Unfreiwillig tun wir heute aus Solidarität mit gesundheitlich bedrohten Menschen das, was ökologisch schon längst nötig wäre. Unverhofft ist die Welt geprägt von weniger Konsum, weniger Verkehr, weniger Energieverbrauch, weniger Lärm, weniger Emissionen. Mit sinkenden Infektionszahlen soll sich nach und nach unser Leben normalisieren und die Wirtschaft wieder hochgefahren werden. Doch wollen wir wieder zurück in die alten Muster? Oder die Chance nutzen, um nachhaltiger zu werden?

Viele gewinnen der aktuellen Entschleunigung und Genügsamkeit oder Suffizienz auch positive Seiten ab: die aktuelle Krise zwingt uns, über unser Konsumverhalten nachzudenken. Das kommt auch Menschen in ärmeren Ländern zugute, die durch die Coronakrise existenziell bedroht sind. Es geht jetzt darum, ökologische Chancen beim Wiederaufbau zu packen, dabei aber sozial verantwortlich zu handeln und die Welt damit zukunftstauglicher zu machen. Wenn wir unseren Konsum reduzieren, verringert sich auch der Druck auf die Landnutzung in Ländern des globalen Südens – das bedeutet dort mehr Raum für Ökosysteme, aber auch für den Anbau der eigenen Nahrungsmittel.

Das Interview wurde von Eva Schmassmann geführt.

Weitere Informationen: https://www.pronatura.ch/de/lernen-aus-der-coronakrise

Bildnachweis: Stefan Bröckling, Entenmast, CC BY-NC-SA

Dominik Gross
Friedrich Wulf

Projektleiter Politik und Internationales, Pro Natura Schweiz

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