Sterben am Virus oder sterben vor Hunger?

2. Jun 2020 | Gastbeitrag

Interview mit Markus Brun, Fastenopfer

Welche Auswirkungen hat COVID-19 auf nachhaltige Entwicklung? Die Plattform Agenda 2030 führt eine Reihe von Interviews mit Expertinnen und Experten aus unseren Mitgliederorganisationen.

 

Rund um die Welt werden Ausgehsperren verhängt und Lockdown-Massnahmen ergriffen. Wie wirken sich diese Massnahmen in den ärmeren Ländern aus?

Für viele Menschen, die im informellen Sektor arbeiten, d.h. ohne Arbeitsvertrag und Sozialversicherungen, ist der Lockdown eine Katastrophe. Für sie stellt sich dramatisch zugespitzt die Frage: sterben an Hunger oder am Virus? Sie haben keine Ersparnisse, auf die sie zurückgreifen können, erhalten keine Lohnfortzahlung oder staatliche Beiträge.

Die Demokratische Republik Kongo, eines der ärmsten Länder der Welt, hat in erster Panik in der Hauptstadt Kinshasa wie viele Länder einen Lockdown verhängt. Die Menschen sollen zu Hause bleiben und so die Verbreitung des Virus eindämmen. Der Lockdown wurde dann bereits nach einem Tag wieder aufgehoben. Zu viele Menschen leben von der Hand in den Mund und sind auf ihr tägliches Einkommen als Strassenhändler oder Coiffeusen angewiesen. Eine eigentlich richtige Massnahme zur Gesundheitsprävention erweist sich als nicht umsetzbar in diesem Kontext.

In vielen der ärmsten Länder reicht die Datenlage nicht aus, um den Verlauf der Corona-Ausbreitung oder die Auswirkungen der ergriffenen Massnahmen korrekt zu modellieren. Auch sind die Testkapazitäten viel zu tief.

Massnahmen zur Bekämpfung der Coronakrise werden auch für politische Zwecke instrumentalisiert. Beobachtet ihr das in eueren Partnerländern auch?

In den Philippinen wurde die Coronakrise vom Präsidenten Duterte genutzt, um sein autoritäres Regime weiter auszubauen und unliebsame Medien auszuschalten. Eines der führenden Medienhäuser, ABS-CBN, verlor Anfang Mai seine Lizenz. Auch die Kirchen gerieten in die Kritik. Trotz Lockdown und Ausgangssperren engagieren sich viele in der Nachbarschaftshilfe, verteilten Essen an die hungrigen Menschen.

Zusätzlich zu Corona und Lockdown, wurden die Philippinen dieses Jahr auch bereits sehr früh von einem ersten Taifun getroffen. Die Routinen, Evakuierung und Kommunikation sind grundsätzlich vorhanden, wurden nun aber durch die Lockdown-Massnahmen erschwert. Die Bevölkerung war verunsichert: das Haus verlassen und die Evakuierungszentren aufsuchen? Wie können dabei Mindestabstände gewahrt bleiben? Die Widerstandskräfte angesichts solcher multiplen Krisen sind rasch erschöpft.

Welche Auswirkungen hat die Coronakrise auf die Projektarbeit von Fastenopfer in den Partnerländern?

Die Möglichkeiten sind je nach Kontext völlig unterschiedlich: in ländlichen Regionen kann Fastenopfer viele Projekte weiterführen. Dazu gehören Projekte zu kleinbäuerlicher Landwirtschaft. Hier musste jetzt gesät werden, um später im Jahr eine Ernte und damit ein Einkommen zu generieren. Abstandsregeln lassen sich in kleinen, familiären Kontexten auf dem Feld auch umsetzen. Bei anderen Projekten mussten wir einzelne Komponenten ändern oder ganz fallen lassen. Dazu gehören leider viele Aktivitäten in der Gemeinschaft, wie z.B. die Spar- und Solidaritätsgruppen im Senegal oder in Burkina Faso. Die Unterstützung mittels Krediten aus den Spargruppen kann zwar aufrechterhalten werden. Um aber in transparenter Art und Weise Einlagen zu tätigen, brauchen die Menschen gemeinsame Treffen. Dies zu ermöglichen, darin liegt derzeit die Herausforderung.

Weitere Informationen: https://fastenopfer.ch/corona/

Das Interview wurde von Eva Schmassmann geführt.

Bildnachweis: MONUSCO Photos, CC BY-SA

 

Dominik Gross
Markus Brun

Leiter Bereich Internationale Zusammenarbeit, Fastenopfer

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