Earth for all – Utopien zur Bewältigung der grossen Krisen

28. Mrz 2024 | Gastbeitrag

Buchtipp von Friedrich Wulf, Pro Natura

Bei Pro Natura verantworte ich seit 15 Jahren den Bereich internationale Biodiversitätspolitik. Dabei bin ich oft weit weg von den konkreten Themen des praktischen Naturschutzes. Statt mich mit der Pflege konkreter Schutzgebiete oder der Betreuung von Amphibienzäunen zu befassen, überlege ich mir, wie sich die Politik weltweit ändern muss, damit der Druck durch den Menschen auf die Natur nachlässt. Rasch realisierte ich, dass es mit der Ausweisung von Schutzgebieten und Artenförderungsprojekten nicht getan ist. Auch die Nutzung der Lebensräume muss sich ändern – und das geht nur, wenn die entsprechenden wirtschaftlichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen dies entsprechend ermöglichen und fördern.

In meinem Einsatz zum Schutz von Natur und Lebensgrundlage muss ich also ein weites Spektrum an Themen abdecken. Diese Erkenntnis spiegelt sich beispielsweise im Jahr 2022 beschlossenen globalen Biodiversitätsrahmen von Kunming-Montréal wider, das unter anderem die Länder der Welt verpflichtet, alle öffentlichen und privaten Tätigkeiten sowie Steuer- und Finanzströme an den Bedürfnissen der Biodiversität auszurichten. Der Weltbiodiversitätsrat IPBES ist gerade dabei, ein Gutachten über den nötigen transformativen Wandel zu erstellen. Einen ganzheitlichen Ansatz stellt auch die Agenda 2030 dar, deren 17 Ziele alle bis 2030 erreicht werden sollen, aber nur erreichbar sind, wenn Biodiversität und Klima erhalten werden. Klar ist demnach: eine gerechte, sozial und ökologisch nachhaltige Welt lässt sich nur erreichen, wenn man an mehreren Stellschrauben gleichzeitig dreht.

Die neue Studie des Club of Rome, Earth4all, die ich hier vorstellen will, hat einen nicht minder ganzheitliche Ansatz wie die genannten internationalen Abkommen. Im Unterschied dazu ist sie aber gut lesbar. Sie stellt 5 Themen vor, bei denen es deutliche Kehrtwenden geben muss:

  • bei der Ausbeutung des globalen Südens durch die Industrieländer,
  • bei der Ungleichheit zwischen Arm und Reich,
  • bei der Geschlechtergerechtigkeit,
  • bei Landwirtschaft und Ernährung und
  • bei der Energie- und Klimapolitik

Im Unterschied zur Agenda 2030 und dem globalen Biodiversitätsrahmen erläutert die Studie plausibel, worin die Probleme liegen, warum sie behoben werden müssen, und präsentiert zentrale Lösungswege, mit denen die nötigen Änderungen bewirkt werden können.

Aus Naturschutzsicht ist der Wandel im Bereich Landwirtschaft und Ernährung am relevantesten. Eindrucksvoll wird geschildert, wie die Industrialisierung der Landwirtschaft zu immer stärkeren Abhängigkeiten und Risiken für die globale Ernährungssicherheit führt und unsere Böden und Ökosysteme zerstört. Um dem zu begegnen, schlägt die Studie in diesem Bereich drei Massnahmen vor:

  • Umstellung des Anbaus auf eine lokale/regionale und regenerative Landwirtschaft ohne Flächenausweitung. Durch eine weniger intensive und standortangepasste Bodenbearbeitung, weniger Pestizide und Stopp der Überdüngung wird der Verlust der Bodenfruchtbarkeit gestoppt, die Bodenfauna und – pilze erhalten, Verdunstung verringert, Kohlenstoff gebunden und die Lebensräume und Arten geschützt. Durch Massnahmen wir Zwischenfruchtanbau, Fruchtwechsel, Einsatz von Kompost, wenig Bodenbearbeitung oder extensive Weidehaltung und Pflanzung/Erhaltung von Bäumen entsteht eine bessere Bodenqualität, eine Steigerung der Erträge, resilientere und vielfältigere Ökosysteme und letztlich mehr Ernährungssicherheit.
  • Umstellung der menschlichen Ernährung zu mehr pflanzlicher Kost, mehr Obst und Gemüse und weg von tierischer Ernährung (auch zur Verbesserung der menschlichen Gesundheit) und
  • Verringerung der Lebensmittelverschwendung

Beim Klima setzt die Studie auf eine Steigerung der Effizienz, 100% Elektrifizierung, regenerative Energie und Energiespeicherung.

Um die oben genannten 5 Kehrtwenden zu ermöglichen und Synergien zu fördern, setzt die Studie auf einen Wandel des Wirtschaftssystems weg vom Rentierkapitalismus zu einem mehr am Gemeinwohl orientierten System. Sie schlägt einen Bürgerfonds vor, der eine Grunddividende aus Abgaben für die Entnahme von Vermögenswerten und die nachhaltige Nutzung kollektiver Gemeingüter (Natur!) ausschüttet. Das Finanzsystem muss durch staatliche Massnahmen reguliert und durch richtig gesetzte Anreize in nachhaltige Bahnen gelenkt werden (also weg von der Subventionierung umweltschädigender Aktivitäten hin zu solchen, die die Umwelt fördern). Unerlässlich ist auch ein anderer Umgang mit dem globalen Süden: der geforderte Schuldenerlass könnte dringend benötigte Gelder freisetzen, die zur Bekämpfung der Armut und zur Bewahrung von Ressourcen verwendet werden können.

Summa summarum können mit den vorgeschlagenen Vorschlägen gewaltige Synergieeffekte und ein grosser Schub im Hinblick auf eine gerechte, soziale und ökologische Welt bewirkt werden. Das Buch macht Mut, weil es zwar die Probleme benennt, aber auch zeigt, dass und wie man sie lösen kann. Lesen lohnt sich, auch um zahlreiche Zusammenhänge zu verstehen, die ich hier bestenfalls anreissen konnte.

Informationen zum Buch:

Sandrine Dixson-Delève, Owen Gaffney, Jayati Ghosh, Jørgen Randers, Johan Rockström, Per Espen Stoknes: Earth for All. Ein Survivalguide für unseren Planeten. Der neue Bericht an den Club of Rome. 3. Auflage 2022, oekom Verlag, München, ISBN 978-3-96238-387-9
Die Studie, weitere Informationen und die der Studie zugrunde liegenden Modelle finden sich unter https://earth4all.life/
Das Buch ist in der Pro Natura Bibliothek in Basel unter 1.1.1. Dixon entleihbar.

Dominik Gross
Friedrich Wulf

Projektleiter Politik und Internationales, Pro Natura Schweiz

Buch-Cover Earth for all
Links:

Pro Natura

Club of Rome: Earth for all

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