Ohne die Befriedigung der Grundbedürfnisse ist das Recht auf Gesundheit gefährdet

24. Apr 2024 | Gastbeitrag, Politikkohärenz

Das Recht auf Gesundheit als Menschenrecht wird in vielen internationalen Menschen­rechts­abkommen und nationalen Gesetzen anerkannt. Es wird auch anerkannt, dass die Verwirklichung des Rechts auf Gesundheit eng mit der Verwirklichung anderer Menschenrechte, hauptsächlich mit den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten verbunden und von ihnen abhängig ist. Doch woran scheitert die Umsetzung?

Dieses Recht auf Gesundheit spiegelt sich auch in der Erklärung von Alma-Ata (1978) wider, in der die sozialen Determinanten von Gesundheit hervorgehoben werden (Breilh, J. et al. 2007). Dazu zählen insbesondere eine gesunde Ernährung, sauberes Wasser, eine adäqute Wohnung und weitere Existenzgrundlagen wie eine menschenwürdige Arbeit. Der Zugang zur Gesundheitsversorgung ist also nur eine Ergänzung zu diesen Voraussetzungen. Denn wie sollte ein Mensch (oder eine Gemeinschaft) gesund sein können, der Nahrung, Unterkunft und sauberes Wasser entbehrt?

Ebenso unbestritten zeugt die Klimakrise von dieser gegenseitigen Abhängigkeit. Sie zeigt sich in den letzten Jahren in immer häufigeren und extremeren „Naturkatastrophen“ wie Dürren, Wüstenbildung, Überschwemmungen, Waldbränden und Gletscherschmelze… ganz zu schweigen von grossflächigen Umweltverschmutzungen (Boden, Luft, Wasser), die die gesamte Weltbevölkerung betreffen. In der Folge kommt es nicht nur zu Krankheiten und dem Auftreten neuer Viren, sondern bedroht sind auch die Nahrungsmittelproduktion und die biologische Vielfalt, die für den Erhalt der Gesundheit aller Menschen unerlässlich sind.

Seit Kurzem erkennen internationale Institutionen – wie die Weltgesundheitsorganisation – an, dass die menschliche Gesundheit eng mit der Natur, also mit Pflanzen, Haus- und Wildtieren sowie mit den Umweltbedingungen verknüpft ist (One-Health-Konzept).

Neoliberale Politik gefährdet das Recht auf Gesundheit

Dennoch haben es die Verfechter:innen der neoliberalen Politik geschafft, unter anderem durchzusetzen, dass Gesundheit der individuellen „Verantwortung“ unterliegt. Der menschliche Körper ist für sie nur eine Maschine, die durch personalisierte Behandlungen, die den Krankheitsprozess aufhalten oder umkehren, wiederhergestellt werden kann, ohne Rücksicht auf die Umwelt, die soziale Klasse der Betroffenen oder die ungerechte Verteilung des Wohlstands. Diese Politik hat dazu geführt, dass in vielen Ländern die öffentlichen Systeme sozialer Sicherheit, insbesondere das Gesundheitswesen, durch Privatisierung und Kommerzialisierung dieses sehr lukrativen Sektors abgebaut wurden.

Zudem haben die unfaire makroökonomische Politik und Handelsabkommen, die Schuldenlast und die anhaltende Aneignung von Ressourcen (Menschen und Material) – die den sogenannten Entwicklungsländern von den internationalen Finanzinstitutionen aufgezwungen werden – zu einem erheblichen Anstieg von Armut und Ungleichheit zwischen und innerhalb von Ländern geführt.

Die Pharmalobby kann sich der politischen Unterstützung gewiss sein

Die Schweiz gilt zwar als reich und verfügt über ein als gut bewertetes Gesundheitssystem, sie ist aber von diesem Trend nicht ausgenommen. Ihr teures Gesundheitssystem wird vom Privatsektor dominiert und die Zahl der „Working Poor“ (Menschen, die zwar arbeiten, deren Einkommen aber nicht ausreicht, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten) geht in die Hunderttausende. Darüber hinaus zögert die Regierung dieses Landes, wo sich der Sitz mehrerer grosser transnationaler Pharmakonzerne befindet, unter dem Einfluss von Lobbyist:innen, ihre Rolle als Regulierungsbehörde für die Arzneimittelpreise wahrzunehmen (Bläsi, Th. 2024). Die Preisgestaltung hat jedoch nicht nur nationale, sondern auch internationale Auswirkungen. Dies gilt sowohl für die Verkaufspreise als auch für die Frage, ob die Herstellung von Generika in anderen Ländern erlaubt ist oder nicht.

So stellt das Patentsystem, wie es im WTO-Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (1995) festgelegt ist, ein Hindernis für den Zugang zu Arzneimitteln dar und verstösst gegen das Recht auf Gesundheit.

Mehr Tod durch soziale Ungleichheit denn durch fehlende Gesundheitsversorgung

Obwohl der Zugang zur Gesundheitsversorgung einen wichtigen Aspekt darstellt, resultiert der Grossteil der Krankheiten in der Welt, wie auch die meisten Todesfälle, aus der fehlenden (oder manchmal schlechten) Befriedigung der Grundbedürfnisse auf Nahrung, sauberes Wasser, sanitäre Einrichtungen und Wohnraum… Im Übrigen zeigt die Entwicklung des öffentlichen Gesundheitswesens im 19. Jahrhundert in Europa und den USA, dass die wichtigsten Massnahmen, die zur deutlichen Verbesserung des Gesundheitszustands der Bevölkerung beigetragen haben, ausserhalb des Gesundheitswesens erfolgt sind. Auch die Covid-19-Pandemie hat kürzlich bewiesen, sofern dies nötig war, dass der öffentliche Dienst einen zentralen Stellenwert für eine diesen Namen verdienende Gesundheitspolitik innehat.

Das Engagement der Staaten als Garant:innen der Menschenrechte bei Förderung, Schutz und Umsetzung des Rechts auf Gesundheit ist daher von entscheidender Bedeutung.

 

Dieser Artikel wurde zuerst veröffentlicht bei Medicus Mundi Schweiz, Med in Switzerland #64

Bildnachweis: Andrew Nash, CC BY-SA 2.0

CETIM: CETIM (Centre Europe-Tiers Monde) ist ein Zentrum für Forschung und Publikationen zum Thema Nord-Süd-Beziehungen in Genf. Es ist eine Organisation mit beratendem Status beim ECOSOC (Economic and Social Council). Durch Veröffentlichungen, Interventionen oder andere Aktivitäten will die Organisation die internationalen, regionalen und nationalen Mechanismen aufzeigen, die die wirtschaftliche, soziale, zivile, politische und kulturelle Entwicklung sowohl im Norden als auch im Süden fördern oder behindern. CETIM ist auch ein engagierter Verleger. Die Bücher und Publikationen nehmen einen kritischen, ernsthaften und originellen Standpunkt ein, der darauf abzielt, der breiten Öffentlichkeit Informationen und Werkzeuge zum Verständnis der Welt und Wege zu ihrer Veränderung bereitzustellen.

Referenzen

  • Bläsi, Thomas 2024. L’interview de Thomas Bläsi, pharmacien et Conseiller national, publié dans Information immobilière, n° 143, printemps 2024.
  • Breilh, Jaime; Ho, Mae-Wan; Katz, Alison et al. La santé pour tous! Se réapproprier Alma Ata, éd. CETIM, Genève, 2007

Melik Özden ist der Direktor des CETIM in Genf. Er hat sein ganzes Leben damit verbracht, an der Basis der Zivilgesellschaft zu arbeiten, Menschenrechtsnormen auszuarbeiten und sich für deren wirksame Umsetzung zugunsten der Völker der Welt und jedes Einzelnen einzusetzen.

Portrait Melik Ozden
Melik Özden

Direktor von CETIM in Genf

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