Vor COVID-19 sind wir nicht alle gleich

11. Mai 2020 | Gastbeitrag

Interview mit Claudio Rini, Kinderhilfe
Welche Auswirkungen hat COVID-19 auf nachhaltige Entwicklung? Die Plattform Agenda 2030 führt eine Reihe von Interviews mit Expertinnen und Experten aus unseren Mitgliederorganisationen.

Wie kann man die Schwächsten vor der Pandemie schützen in Ländern, die eine fragile Gesundheitsversorgung haben?

Vor Covid-19 sind wir nicht alle gleich. Die Coronakrise macht die Ungleichheiten brutal sichtbar. Kinder und gefährdete Personen sind besonders betroffen. Die Pandemie destabilisiert oft die bestehende, bereits prekäre Grundversorgung. Ausgangssperren führen zu mehr häuslicher Gewalt. Tausende von Schülerinnen und Schülern gehen nicht mehr zur Schule. Terre des hommes unterstützt und verstärkt den Kinderschutz und Gesundheitssysteme vor Ort, und hilft mit, den Zugang zu Wasser und Hygiene sicher zu stellen. In Nord-Nigeria konnten wir mobile Handwaschstationen installieren, die dank einem System von Selbstregenerierung den Wasserverbrauch massiv senken. Das benutzte Wasser wird in ein Reservoir umgeleitet und dann automatisch durch eine Membrane gefiltert. Das System funktioniert allein mit Schwerkraft. Die Technologie erlaubt die Wiederverwendung des Wassers ohne Elektrizität, ohne komplexen Unterhalt und ohne Zugabe von Chemikalien. Die Membranfiltration ist so fein, dass sie weder Bakterien noch Viren durchlässt.

Welche Ergebnisse haben Sie in Ihren Einsatzländern erzielt?

In Burkina Faso sind sechs von zehn Gesundheitszentren mit Tablets ausgerüstet, welche die Indikatoren zur Ausbreitung der Pandemie erfassen. Ein digitales Gesundheitssystem und zuverlässige Gesundheitsindikatoren sind in dieser Krise besonders wichtig.

Wir sind auch auf dem Gebiet der Jugendgerichtsbarkeit aktiv. Sieben Millionen Kinder weltweit sind in Gefängnissen oder in Administrativhaft. Wir unterstützen die Justizbehörden bei der Freilassung von Kindern, die freigelassen werden können, und fordern Alternativen zur Inhaftierung. Um die Ausbreitung von Covid-19 in den Haftanstalten zu verhindern, wurden Hunderte von Minderjährigen aus Gefängnissen freigelassen, etwa in Myanmar (ehemals Burma), Mali sowie acht weiteren Ländern.

Helfen die Ziele für nachhaltige Entwicklung beim Handeln vor Ort?

Ja, die Agenda 2030 erleichtert unsere Advocacy-Arbeit, weil die Ziele für nachhaltige Entwicklung in unseren Einsatzländern Teil der öffentlichen Politik sind. Unsere Aktivitäten in den Bereichen der Gesundheit, des Kinderschutzes, der Wasserversorgung oder der Abwasserentsorgung entsprechen konkret den Nachhaltigkeitszielen, die auch den Ministerien bekannt sind. Entwicklungsländer und Geldgeber teilen daher universelle Ziele, die uns als Referenzrahmen dienen. Das SDG 16 unterstützt zum Beispiel unsere Bemühungen zur Förderung einer restaurativen Justiz. Damit können wir verhindern, dass Kinder inhaftiert werden. Stattdessen profitieren sie von Mechanismen der gewaltfreien Konfliktlösung und Reintegration. Generell muss für Jugendliche der Zugang zu Schutz und öffentlichen Gesundheitsleistungen erhalten bleiben. Indem wir uns bemühen, niemanden zurück zu lassen, mobilisieren wir uns mehr denn je für Kinder und gefährdete Menschen, gemäss dem Leitprinzip der Agenda 2030 «leave no one behind».

Das Interview wurde von Pierre Zwahlen auf Französisch geführt.

Ergänzende Informationen auf der Website von Terre des hommes: www.tdh.ch/de

Claudio Rini
Claudio Rini

Einsatzleiter, Terre des hommes – Kinderhilfe

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