Digitalsteuer für Buchungsplattformen für nachhaltigen Tourismus

18. Mai 2020 | Gastbeitrag

Interview mit Jon Andrea Florin, Geschäftsführer, fair unterwegs – arbeitskreis tourismus & entwicklung

Welche Auswirkungen hat COVID-19 auf nachhaltige Entwicklung? Die Plattform Agenda 2030 führt eine Reihe von Interviews mit Expertinnen und Experten aus unseren Mitgliederorganisationen.

Das Coronavirus hat unsere Gesellschaften zum Stillstand gebracht, Grenzen geschlossen. Wie ist man derzeit fair unterwegs?

In Wanderschuhen, auf dem Velo, im Zug, mit dem E-Bike oder in Gedanken. Beim Übernachten gilt es, kleine, familiär geführte Häuser oder solche mit Nachhaltigkeitszertifikaten zu buchen, sich nicht von Rabatten verleiten zu lassen und den Mitarbeitenden ein Trinkgeld zu geben. A propos buchen: Bitte direkt und nicht über eine grosse Buchungsplattform.  Weitere Tipps bietet unsere Webseite.

Bereits vor Corona wurden die Arbeitsbedingungen in Hotels als prekär, der Schutz der Angestellten als lasch kritisiert. Wie wirkt sich die Krise hier aus?

«Es drohen Schliessungen von 3’200 Betrieben und der Verlust von über 30’000 Arbeitsplätzen», schreibt der Schweizer Tourismus-Verband. Da wegen der Hygienevorschriften der Umsatz pro Quadratmeter bei den meisten Unternehmen sinken wird, werden einige die eh schon schlechten Arbeitsbedingungen weiter verschlechtern.  In den Ländern des Südens ist die Lage verschärft. Die Weltorganisation für Tourismus (UNWTO) sieht 100 bis 120 Millionen «Jobs» in Gefahr. Wobei viele Menschen gar keine Stelle mit einem Vertrag und geregelten Arbeitsbedingungen haben, sondern im «informellen» und damit unregulierten Arbeitsmarkt ohne soziale Absicherung beschäftigt sind. Die Reiseführerin, der Strassenkoch, solche Kleinstunternehmer*innen verlieren ihre Einkunft, ihre Unterkunft und ihr soziales Netz. Viele müssen in die Dörfer zurückkehren, aus denen sie ausgewandert sind, weil sie keine Zukunft sehen. Die Schwächsten trifft es am stärksten.

Reisen wie früher wird es in diesem Jahr kaum geben. Was können wir tun, damit das Reisen in Zukunft nachhaltiger wird?

Meines Erachtens ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Tourismusindustrie mit Rabattschlachten und Werbefeldzügen – von den Staaten grosszügig unterstützt – alles unternehmen wird, um wieder auf Wachstumskurs zu kommen. Damit ist gesagt, was wir tun können: Kohärenz einfordern. Etwa bei den Staaten – sie sollen sich von den Wachstumsplänen im Tourismus verabschieden und zum Beispiel Kredite an Grossunternehmen an Nachhaltigkeitsbedingungen knüpfen. Mit einer Digitalsteuer bei den Buchungsplattformen oder mit einer globalen Kurtaxe kann der weltweite Umstieg auf einen menschen- und umweltfreundlicheren Tourismus finanziert werden. Auch die Reisenden können tatsächlich nachhaltiger unterwegs sein – schliesslich sagen sie, dass sie dies gerne täten.

Das Interview wurde von Eva Schmassmann geführt.

Weitere Informationen auf der Webseite des arbeitskreises tourismus & entwicklung: www.fairunterwegs.org

Jon Andrea Florin
Jon Andrea Florin

Geschäftsführer, fair unterwegs – arbeitskreis tourismus & entwicklung

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