Der Zivilgesellschaft eine aktive Rolle gewährleisten

18. Aug 2022 | Aktualität, Stellungnahme

Vom 4. – 16. Juli 2022 fand das Hochrangige Politische Forum (HLPF) in New York zur Umsetzung der Agenda 2030 statt. Die Plattform Agenda 2030 wurde eingeladen, die Zivilgesellschaft in der Schweizer Delegation zu vertreten. Der Rückblick unserer Koordinatorin Eva Schober.

Die Corona Pandemie hatte zu grossen Rückschritten in der Erreichung der Ziele für Nachhaltige Entwicklung (SDGs) geführt. Das Forum widmete sich dieses Jahr entsprechend der Frage, Wege aus der Krise zu finden, und gleichzeitig die Agenda 2030 in seiner Ganzheit voranzutreiben. Das Thema lautete: «Building back better from the coronavirus disease (COVID-19) while advancing the full implementation of the 2030 Agenda for Sustainable Development. » In seiner Eröffnungsrede betonte UN Generalsekretär António Guterres, dass Krisen heute wie früher die Vulnerabelsten und die Marginalisiertesten am stärksten treffen. Die Corona-Pandemie hat einmal mehr die verehrenden Auswirkungen von Ungleichheit innerhalb und zwischen den Ländern gezeigt. Er bekräftigte aber auch, dass Hoffnung besteht und skizzierte vier Schritte, um die Transformation zu schaffen:

  • Gleichwertiger Zugang zu Covid-Impfstoffen und Tests weltweit sowie Zugang zu Forschung und Produktion für alle Länder.
  • Die Ernährungs-, Finanz- und Energiekrisen müssen beendet werden. Insbesondere müssen reichere Länder die ärmeren Länder mit finanziellen Mittel unterstützen, sowie Schulden erlassen. Es braucht ein Finanzsystem, dass den Vulnerablen, nicht nur den Mächtigen dient.
  • In Menschen investieren: Sozialsysteme aufbauen und verbessern, in qualitativ hochwertige und gerechte Bildung investieren, um Ungleichheiten zu reduzieren.
  • Taten gegen den Klimawandel: 100 Milliarden bereitstellen für die Transformation der Energieversorgung in ärmeren Ländern hin zu erneuerbaren Energien und ein radikaler Kurswechsel weltweit weg von fossilen Energien.

Die Eröffnungsrede markierte für mich einen der zahlreichen globalen Momente in der Woche – Momente, in denen mir die globale Dimension der Agenda 2030 und die Kraft der Ziele bewusst wurden.

Vision der Zivilgesellschaft

Die Zivilgesellschaft ist einer der Schlüssel, um die Agenda 2030 zu erreichen und zu garantieren, dass niemand zurückgelassen wird. Der Zivilgesellschaft wurde in der Session «Vision of civil society» das Wort gegeben. Es herrschte eine Aufbruchstimmung im Raum, Frauenorganisationen verteilten farbige Schals, es wurde bunt im Saal. Der Aktivismus war spürbar und es wurde applaudiert und einige Sprecher:innen ernteten laute Zustimmung. Mich schauderte es, als die Sprecherin der Jugend ihre Vision einer Zukunft ohne Diskriminierung beschwor, in der junge Mädchen die uneingeschränkt gleichen Rechte haben wie ihre männlichen Altersgenossen, Zugang zu hochstehender Bildung und Gesundheit für alle selbstverständlich ist. Und dass dies keine Utopie sei. Die Zivilgesellschaft fand viel Zuspruch aus den Reihen der Regierungsverterter:innen. Die Delegierte von Norwegen beispielsweise äusserte ihre Besorgnis über den «Shrinking Space for human rights defenders» und Delegierte aus dem Norden und Süden geeint forderten, dass die künftige Entwicklung nicht von Konzernen gesteuert und dass niemand zurückgelassen werde. Für mich war dieser Anlass bestärkend, denn er liess mich realisieren, dass die Forderungen unseres Berichts «Weiter wie bisher auf Kosten der Welt?», globale Unterstützung finden und dass es eine weltweite Gemeinschaft gibt, die Gleiches und Ähnliches fordert.

Und die Schweiz ?

Die Schweiz präsentiere am 12. Juli ihren freiwilligen Länderbericht (VNR) und verteilte zu diesem Anlass die extra dafür lancierte Briefmarke, zusammen mit einer Postkarte an die Zuschauenden im Publikum. Mensch freute sich darüber und die Schweiz wurde für ihr selbstkritisches Hinschauen, wie auch für die Präzision in der Berichterstattung gelobt. Eine Musterschülerin, so scheint es. Mexiko, zusammen mit anderen Ländern aber blickte genauer hin und wies auf den blinden Fleck in Bezug auf die Machenschaften einiger Schweizer Konzerne im globalen Süden und den ungenügenden Einbezug der Zivilgesellschaft in den VNR hin. Auch ich freute mich über die Schweizer Briefmarke und über die sehr offene wie auch selbstkritische Kommunikation innerhalb der Schweizer Delegation während der ganzen Woche. Einmal mehr wurde mir aber bewusst, dass meine Auffassung, den Länderbericht als politisches Dokument zu betrachten auf taube Ohren stösst. Wie bereits festgestellt, geht es der Schweiz in Bezug auf die Agenda 2030 und nachhaltige Entwicklung nicht wirklich um einen Kurswechsel, sondern um einen breit abgestützten Konsens. Der VNR dient der Berichterstattung. Das ist schade, denn ein solches Reporting könnte mehr als eine Bestandesaufnahme sein und den künftigen Kurs vorgeben und konkrete Massnahmen für nachhaltige Entwicklung skizzieren, die über den kleinsten gemeinsamen Nenner hinaus gehen.

Die Abschlussdeklaration – ein schwaches Dokument

Auch schade und etwas ernüchternd war für mich persönlich, dass in der Abschlussrunde am 16. Juli manche Aussagen der Ministerial Declaration von einigen Ländern stark abgeschwächt wurden. Die Agenda 2030 sei als nicht bindendes Dokument zu betrachten. Viel Diskussion gab es in Bezug auf Geschlechtervielfalt und die reproduktiven Rechte von Frauen und Mädchen. Sexuelle Rechte unterstünden immer dem lokal geltenden Recht was faktisch das Recht auf Abtreibung von Millionen von Frauen weltweit einschränkt und die Wichtigkeit von Frauen als Entscheidungsträgerinnen aberkannt. Zudem gefährdet die Ernährungspolitik mancher Länder nachhaltige Entwicklung massiv, weil anstelle agroökologischer Systeme Intensivierung und hoch technologisierte Landwirtschaft als einzige Massnahme betrachtet wird, um die Bevölkerung zu ernähren.

Wie geht es weiter ?

Im künftigen Prozess der Umsetzung der Agenda 2030 in der Schweiz wolle man enger mit der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten. So antwortete der Delegierte Jacques Ducrest auf Fragen der anderen Länder und aus der Zivilgesellschaft im Anschluss an seine Präsentation des Länderberichts. Die Zivilgesellschaft solle sich einbringen können, denn genau der offene Dialog sei eine Stärke der Schweizer Demokratie.

Wir haben dieses Versprechen gehört und werden uns dafür einsetzen, dass es auch eingelöst wird. Es reicht nicht, der Zivilgesellschaft in Konsultationen das Wort zu erteilen, wenn anschliessend doch nichts geändert wird.  Wir wollen mitarbeiten an der Vision einer nachhaltigen Schweiz. Nur wenn wir auch die unbequemen Themen rasch und gemeinsam angehen, gelingt die Transformation zu einer wirklich nachhaltigen Entwicklung, die auf Fairness, Inklusion und Umweltgerechtigkeit  basiert.

Portrait Nina Vladovic
Eva Schober

Koordinatorin bei Plattform Agenda 2030

Tags

, ,