Bundesrat verpasst dreifache Chance, die Transformation zu gestalten

3. Okt 2023 | Aktualität, Stellungnahme, Institutionen, Ressourcen

Vor der Sommerpause schickte der Bundesrat drei für nachhaltige Entwicklung zentrale Strategien in die Vernehmlassung. Er verpasst darin die Chance, die Nachhaltigkeitspolitik aktiv zu gestalten. Die Plattform Agenda 2030 hat sich an allen drei Vernehmlassungen beteiligt. Sie fordert in allen Bereichen eine Erhöhung der Mittel und eine konsequente Ausrichtung an den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung der Agenda 2030.

Der Bundesrat unterbreitet dem Parlament nächstes Jahr seine Strategien für Bildung, Forschung und Innovation, für internationale Zusammenarbeit und für Kultur für die Jahre 2025 bis 2028. Über die Sommerferien 2023 ermöglichte er in einer öffentlichen Vernehmlassung allen interessierten Kreisen, sich zu den drei Strategien zu äussern. Die Plattform Agenda 2030 hat sich an allen drei Vernehmlassungen beteiligt. Alle drei Bereiche haben das Potenzial, die Transformation für nachhaltige Entwicklung zu beschleunigen.

Bildung, Forschung und Innovation an den Bedürfnissen des Gemeinwohls innerhalb planetarer Grenzen ausrichten

Die aktuellen globalen Herausforderungen und Vielfachkrisen (Klima, Krieg, Biodiversität und Ungleichheiten) rufen nach radikaler Transformation und neuen Denkansätzen. Lösungen setzen die Problemlösefähigkeit und Innovationskraft gesellschaftlicher Akteure voraus. Bildung, Forschung und Innovation sind wichtige Instrumente, um diese Transformation zu gestalten und uns auf die Zukunft unter veränderten Bedingungen vorzubereiten.  

Die vorliegende Botschaft unterschätzt die gestalterischen Möglichkeiten des Bundes. Ihr liegt ein Verständnis zugrunde, dass Bildung, Forschung und Innovation vor allem ökonomischen Interessen und Zwecken zu dienen habe. Nötig wäre im Gegenteil ein aktives, gestaltendes Verständnis, das die Bedürfnisse des Gemeinwohls an einem zukunftsfähigen Planeten voranstellt.

Wir brauchen keine Innovation, um Konsum (und damit Ressourcenverbrauch) weiter voranzutreiben. Effizienzgewinne haben bislang lediglich dazu geführt, dass über Rebound-Effekte der Verbrauch doch stetig weiter steigt. Wir brauchen Innovationen, welche die Transformation hin zu Nachhaltigkeit beschleunigen, sowohl auf technologischer als auch sozialer Ebene. Hier sollte die Botschaft klare strategische Ziele setzen, und beispielsweise technologische und soziale Innovation im Sinne der Kreislaufwirtschaft und der Erreichung der gesetzten Klimaziele speziell fördern, und in der Aus- und Weiterbildung Antworten auf Pflegenotstand und fehlendes Personal in der Bildung liefern.

Insgesamt ist die Botschaft zu einseitig auf technologische Innovationen ausgerichtet. Im Gegensatz zur Schweiz haben die EU und viele europäische Länder soziale Innovationen als wichtigen Ansatz zur Lösung sozialer und ökologischer Herausforderungen erkannt. Die Schweiz hat in dieser Hinsicht Nachholbedarf.

Starke Solidarität stärkt internationale Zusammenarbeit

Die Strategie für die internationale Zusammenarbeit sieht einen Rückgang der Entwicklungsfinanzierung gemessen an der Wirtschaftsleistung der Schweiz vor.

Diese Quote soll erstmals seit 2013 unter 0.4% fallen. Zudem sieht der Bundesrat eine massive Verschiebung der Mittel vor: 13% der Mittel sind für die Ukraine-Hilfe und den Wiederaufbau vorgesehenen (1.5 Milliarden Franken). Hier fordern wir eine ausserordentliche Finanzierung. Diese Mittel aus dem Kredit der internationalen Zusammenarbeit einzustellen bedeutet, dass die ärmsten Länder für den dringend notwendigen Wiederaufbau und die Nothilfe in der Ukraine bezahlen, da diese Gelder nicht für Aktivitäten in den ärmeren Ländern zur Verfügung stehen.

Angesichts des Anstiegs von Armut und Hunger ist zudem ein Ausbau der Mittel für internationale Zusammenarbeit dringend notwendig. Die Schweiz muss ihre Entwicklungsfinanzierung endlich auf die längst versprochenen und in SDG 17 bekräftigten 0.7% ihrer Wirtschaftsleistung erhöhen und ihre Solidarität mit Menschen im globalen Süden unter Beweis stellen.

Einkommenssicherung für Kulturschaffende ist Teil der Nachhaltigkeit

Kultur hat das Potenzial, die Transformation unserer Gesellschaft hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft zu beschleunigen. In ihrer Rolle sollte die Kultur gestärkt werden, und mit positiven Visionen einer nachhaltigen Zukunft bestehende Ängste vor Veränderung und Transformation aufzufangen.

Wir begrüssen explizit das Kulturverständnis der vorliegenden Botschaft, welches der Kultur eine zentrale Rolle zuschreibt, bei der Stimulation von Kreativität und Vorstellungskraft und so als Anstoss für einen Bewusstseinswandel hin zu nachhaltigerem und suffizienterem Verhalten wirken kann.

Die vorliegende Kulturbotschaft enthält Handlungsfelder in allen Dimensionen der Nachhaltigkeit, benutzt den Begriff «Nachhaltigkeit» jedoch an verschiedenen Stellen zu einseitig bezogen auf die Umwelt- und Klimadimension. Die als Herausforderungen erwähnten Themen Chancengleichheit und Diversität und Einkommenssicherung sind ebenfalls Dimensionen der Nachhaltigkeit und in SDGs abgebildet. Entsprechend schlagen wir vor, die Zielsetzung «Kultur als Dimension der Nachhaltigkeit» als übergeordnetes Ziel festzulegen, und ein neues Handlungsfeld «Klima und Umwelt» einzuführen.

Transformation aktiv gestalten heisst auch, ausreichend Mittel zur Verfügung zu stellen

Bei allen drei Strategien verzichtet der Bundesrat auf eine ausreichende Erhöhung. Dabei besteht in der Schweiz trotz Schuldenbremse ein finanzieller Spielraum, um notwendige Investitionen zu tätigen. Aus ökonomischer Sicht gibt es für den Bund keinen Grund zu sparen. Im Gegenteil: Die extrem tiefe Staatsverschuldung der Schweiz macht in den nächsten Jahren zusätzliche Investitionen möglich: Eine kürzlich veröffentlichte Studie berechnet, das bis 2030 mindestens 15 Milliarden Franken für Mehrausgaben zur Verfügung stehen, bis 2050 sogar 25 Milliarden. Die Kosten des Nicht-Handelns heute werden in Zukunft zu massiv höheren Kosten führen. Angesichts der Rückschritte in der Erreichung der UNO-Nachhaltigkeitsziele sind auch einnahmeseitige Massnahmen notwendig, um diesen Spielraum zusätzlich zu erhöhen. Zu prüfen sind insbesondere die Einführung einer Übergewinnsteuer und die Wiedereinführung der Erbschaftssteuer.

Schassmann Eva
Eva Schmassmann

Plattform Agenda 2030

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