Schuldendienst auf Kosten des Gesundheitswesen

5. Mai 2020 | Gastbeitrag

Interview mit Dominik Gross, Alliance Sud
Welche Auswirkungen hat COVID-19 auf nachhaltige Entwicklung? Die Plattform Agenda 2030 führt eine Reihe von Interviews mit Expertinnen und Experten aus unseren Mitgliederorganisationen.

Die Corona-Pandemie hat Entwicklungs- und Schwellenländer erreicht, deren Gesundheitsversorgung auch aus Ressourcenmangel schlecht darauf vorbereitet ist. Ist die internationale Steuerpolitik mitverantwortlich?

Zu einem Teil sicher. Jährlich gehen ärmeren und armen Ländern schätzungsweise 200 Milliarden Franken Steuereinnahmen alleine durch die Steuervermeidung von multinationalen Konzernen verloren. Wenn man die private Steuerflucht noch dazu rechnet, sind diese Beträge noch ungleich höher. Wenn man bedenkt, dass die Ausgaben für das Gesundheitswesen in den 70 ärmsten Ländern lediglich 20 Milliarden Franken betragen, kann man sich vorstellen, wie viel mehr möglich wäre, wenn Konzerne ihre hohe gesellschaftliche Verantwortung in armen Ländern wahrnehmen würden. In die Schweiz fliessen übrigens jährlich 98 Milliarden Franken an Gewinnverschiebungen von multinationalen Konzernen.

Die sich abzeichnende globale Wirtschaftskrise belastet die Staatskassen dieser Länder zusätzlich. Ist es realistisch zu erwarten, dass sie trotzdem ihre internationalen Schulden bedienen?

Die entscheidende Frage ist, was der Preis dafür wäre: Wenn alleine für 2020 alle Schulden, die für die armen Staaten in diesem Jahr fällig werden, erlassen würden, würden sich die für das Gesundheitswesen in diesen Ländern verfügbaren finanziellen Ressourcen mehr als verdoppeln. Der Schuldendienst geht also direkt auf Kosten von hunderten Millionen Menschen, die an COVID-19 erkranken.

Wegen der fortschreitenden Globalisierung und gegenseitigen Abhängigkeiten sind alle Länder bei globalen Krisen stärker exponiert, wie diese Krise zeigt. Sind die Volkswirtschaften von Entwicklungs- und Schwellenländern durch die starke Integration in den internationalen Finanzmärkten verletzlicher geworden?

Entwicklungs- und Schwellenländer sind sehr unterschiedlich stark von ausländischen Direktinvestitionen abhängig. Diese sind aber oft indirekt an die Finanzmärkte gekoppelt und entsprechend volatil. Ein weiteres Problem sind die wegen des Warenterminhandels an den Finanzmärkten stark schwankenden Nahrungsmittel- und Rohstoffpreise. In vielen Ländern sind diese Preisvolatilitäten nicht nur für die oft prekären Verhältnisse in der Nahrungsmittelversorgung und der Landwirtschaft mitverantwortlich, sondern verschärfen auch das Risiko von sich schnell ausbreitender und schwer kalkulierbarer Überschuldung. Umso wichtiger ist es, das internationale Finanz- und Steuersystem so umzubauen, dass ärmere Länder möglichst selbstständig und möglichst viele eigene steuerliche Ressourcen mobilisieren können. So sind sie entsprechenden Entwicklungen an den Finanzmärkten weniger ausgeliefert und können eine eigenständigere öffentliche Investitionspolitik entwickeln.

Dominik Gross
Dominik Gross

Steuer- und Finanzpolitik, Fachbereich Politik, Alliance Sud

Tags

, , , , , ,