Die Welt verschwendet ihre Nahrungsmittel

25. Aug 2021 | Gastbeitrag

Ungenügende Anstrengungen gegen Food Waste

Weltweit landen über 930 Millionen Tonnen Lebensmittel in den Abfallkübeln von Haushalten, Gastronomie und Einzelhandel. Dies zeigt der aktuelle «Food Waste Index Report» der UNO. Das Ziel der Agenda 2030, den weltweiten Food Waste bis in neun Jahren zu halbieren, ist in weiter Ferne. Auch die Schweiz ist zögerlich, wenn es um griffige Massnahmen gegen Food Waste geht.

«Wären Food Loss und Food Waste ein Land, sie wären die drittgrösste Quelle von Treibhausgasemissionen. Lebensmittelabfälle belasten die Abfallwirtschaftssysteme, verschärfen die Ernährungsunsicherheit und tragen wesentlich zu den drei planetarischen Krisen Klimawandel, Biodiversitätsverlust und Umweltverschmutzung bei», schreibt Inger Andersen, Direktorin des Umweltprogramms der UNO (UNEP) im Vorwort des Food Waste Index Report 2021.

Der Bericht wurde vom UNEP in Zusammenarbeit mit der britischen NGO WRAP (Waste & Resources Action Programme) erarbeitet und beleuchtet den weltweiten Food Waste: 2019 wurden über 930 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen, davon 61 Prozent von Haushalten, 26 Prozent von Gastrobetrieben und 13 Prozent vom Einzelhandel. Das sind 17 Prozent aller Lebensmittel, die ihnen zur Verfügung standen. Pro Kopf und Jahr sind es 121 Kilogramm. Allerdings wurden dabei auch die ungeniessbaren Teile der Lebensmittel (z.B. Knochen, Schalen, Kerne) mitgerechnet, da die Daten keine Aufschlüsselung der Abfälle in essbare und ungeniessbare Teile erlauben.

Bis anhin ging man davon aus, dass Food Waste hauptsächlich in den Industrieländern stattfindet, während sich die Verluste bei Produktion, Lagerung und Transport auf den globalen Süden konzentrieren. Der Bericht zeigt nun aber, dass der Food Waste pro Kopf und Jahr in den Haushalten der untersuchten Länder mit hohem Einkommen (79 kg), mit gehobenem-mittlerem Einkommen (76kg) und mit niedrigen-mittlerem Einkommen (91 kg) vergleichbar hoch ist. Die Schweiz liegt bei 72 kg. Für Länder mit niedrigem Einkommen reichen die Daten nicht aus, um diesbezüglich Rückschlüsse zu ziehen. Das UNEP nimmt im Weiteren an, dass der weltweite Food Waste von Haushalten etwa doppelt so gross sein könnte wie bisherige Schätzungen ergeben hatten.

 

Die angestrebte Halbierung von Food Waste in weiter Ferne

Food Waste ist eine Verschwendung von Ressourcen, Zeit und Geld. 17 Prozent der Lebensmittel wegzuwerfen, hat schädliche Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit von Hunderten von Millionen Menschen und auch auf das Klima. Schätzungsweise 8 bis 10 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen sind mit Food Waste verbunden.

Im Jahr 2015 rief die UNO mit der Agenda 2030 ihre Mitgliedsstaaten zur «Transformation unserer Welt» auf. Unter den 17 «Zielen für nachhaltige Entwicklung» (SDGs) will Ziel 12 die Sicherstellung von nachhaltigen Konsum- und Produktionsmustern. Dazu gehört unter anderem, «bis 2030 die weltweite Nahrungsmittelverschwendung (Food Waste) pro Kopf auf Einzelhandels- und Verbraucherebene zu halbieren und die entlang der Produktions- und Lieferkette entstehenden Nahrungsmittelverluste (Food Loss) einschliesslich Nachernteverlusten zu verringern».

Dieses Teilziel 12.3 gehört sicherlich zu den am wenigsten umstrittenen Zielen der Agenda 2030. Keine Regierung könnte es sich leisten, sich verbal dagegen zu stellen. Schon bald entstand denn auch die internationale Koalition der Champions 12.3 mit Vertreterinnen und Vertretern von Regierungen, internationalen Organisationen, Privatsektor, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Bauernorganisationen, um die Umsetzung von SDG 12.3 voranzutreiben. Das bedeutet aber keineswegs, dass es bis anhin grosse Erfolge zu feiern gäbe. Der UNEP-Bericht führt deutlich vor Augen, dass die UN-Mitgliedsstaaten das Anliegen alles andere als ambitioniert verfolgen. Entsprechend ernüchternd ist auch für Champions 12.3 die Zwischenbilanz nach einem Drittel der Laufzeit: «Angesichts der verbleibenden zehn Jahre ist die Welt weit davon entfernt, SDG 12.3 zu erreichen. (…) Es muss viel mehr getan werden.»

Um den Stand und die Fortschritte bei der Zielerreichung messen zu können, legte die UNO 2017 Indikatoren für die SDGs fest. Für das SDG 12.3 gibt es deren zwei: Der Food Loss Index konzentriert sich auf die Nahrungsmittelverluste, die von der Produktion bis hin zum Einzelhandel auftreten, letzteren dabei aber ausschliessen. Den Lead für diesen Index hat die FAO, die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO. Der Food Waste Index misst die Lebensmittelverschwendung im Haushalt, im Foodservice-Bereich (Gastronomie, Kantinen usw.) und im Einzelhandel. Zuständig für diesen Indikator ist das UNEP, das nun mit seinem Bericht erstmals den Stand der Zielerreichung ausführlich beleuchtet.

Neben den ernüchternden Resultaten macht der Bericht auch deutlich, dass schon allein das Erfassen aussagekräftiger und vergleichbarer Daten der einzelnen Staaten eine grosse Herausforderung darstellt. Denn viele Länder verfügen dafür nicht über die nötigen institutionellen Kapazitäten oder sie haben ihr je eigenes Datensystem, was die Vergleichbarkeit erschwert. Aufgrund der neu entwickelten, anspruchsvollen Messmethodik konnten nur 54 Länder, die über genügend Daten verfügen, im Bericht berücksichtigt werden. Von diesen wurden 52 Länder bezüglich der Haushaltsdaten und je 23 bezüglich Gastronomie und Einzelhandel herangezogen, vor allem Länder mit hohem Einkommen. Der Bericht unterscheidet dabei pro Land nach dem Grad der Vertrauenswürdigkeit der Daten (hoch, mittel, tief, sehr tief). Die Schweizer Haushaltsdaten wurden als «tief» klassifiziert.

 

Die Bedächtigkeit des Bundesrats

Auch in der Schweiz wird Food Waste seit langem leidenschaftlich diskutiert. Dabei ist die Dringlichkeit zu Handeln nicht zuletzt wegen der Erkenntnisse aus der Klimaforschung unbestritten. Zahlreiche Organisationen haben Initiativen zur Verminderung von Food Waste gestartet, Startups entsprechende Angebote aufgebaut. Zudem wurden in den letzten Jahren über 20 parlamentarische Vorstösse mit direktem Bezug dazu eingereicht. Im März 2019 nahm der Nationalrat das Postulat 18.3829 an, mit dem er den Bundesrat beauftragte, bis 2021 einen Aktionsplan gegen Food Waste auszuarbeiten.

Derweilen informiert das Bundesamt für Umwelt ausführlich und beständig über den Stand der Lebensmittelabfälle in der Schweiz und publiziert auf seiner Website zahlreiche Studien, die das Ausmass der Probleme vor Augen führen. Es verweist darauf, dass «25 Prozent der Umweltbelastung der Ernährung der Schweiz auf Food Waste (vermeidbare Lebensmittelverluste) zurückzuführen sind. Dies entspricht etwa der halben Umweltbelastung des motorisierten Individualverkehrs der Schweiz.» Dies ruft nach politischem Handeln. Bedenklich ist in dieser Hinsicht, dass im nationalen «MONET 2030-Indikatorensystem» vom Bundesamt für Statistik Food Waste nicht vorkommt. MONET soll unter anderem «die erzielten Fortschritte bei der Umsetzung der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung» illustrieren, umfasst dabei aber keinen Indikator zum SDG 12.3.

Für Ernüchterung sorgt die neue Strategie Nachhaltige Entwicklung 2030 (SNE 2030) der Schweiz. Denn obwohl der Bundesrat darin einen Schwerpunkt auf das SDG 12 legt und «nachhaltige Konsummuster fördern und ermöglichen» will, sucht man vergebens einen Bezug zu Food Waste. Und im zugehörigen Aktionsplan 2021-2023 will der Bundesrat zwar als erste Massnahme die «Reduktion von Lebensmittelverschwendung» angehen, nimmt dabei aber in keiner Weise auf die internationalen Entwicklungen Bezug. Den Indikator «Food Waste Index» für das SDG 12.3 erwähnt er mit keinem Wort. Er verweist vielmehr auf die «Erarbeitung der Massnahmen gegen die Lebensmittelverschwendung (…) im Rahmen der Erarbeitung des Berichts in Erfüllung des Postulats 18.3829.» Man nimmt sich Zeit in Bundesbern – ambitioniertes Handeln sieht anders aus.

 

Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf Politsichten, dem entwicklungspolitischen Blog von Helvetas veröffentlicht.

 

Bildnachweis: Trashed vegetables in Luxembourg, geschnitten. GNU Free Documentation License.

Dominik Gross
Geert van Dok

Politische Kommunikation, Helvetas

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