#FfD4: Die Schweiz darf in Sevilla keine Siesta einlegen
In Sevilla beginnt heute (30.06.2025) die vierte internationale UNO-Entwicklungsfinanzierungskonferenz (FfD4). Am Sonntagabend demonstrierten zivilgesellschaftliche Organisationen aus der ganzen Welt für eine gerechtere Wirtschaftsordnung. Die Schlusserklärung steht bereits fest und enthält keine entscheidenden Fortschritte gegen die globale Vielfachkrise. Immerhin formuliert sie wichtige Absichtserklärungen zur Steuer- und Entschuldungspolitik, die auch die Schweiz zum Handeln veranlassen sollten.
Der «Financing for Development»-Prozess der UNO
Die UNO-Generalversammlung der Vereinten Nationen (UNGA) verabschiedete 1997 die Entwicklungsagenda, die eine internationale Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung (FfD) vorsah. Die erste fand 2002 in Monterrey (Mexiko) statt. Der dort beschlossene «Monterrey Consensus» legte den Grundstein für den weiteren Prozess. Es folgten Konferenzen in Doha (2008) und Addis Abeba (2015). Dort wurde die «Addis Abeba Action Agenda» beschlossen. Ihr kommt eine besondere Bedeutung zu, da sie den finanziellen Rahmen zur Umsetzung der im selben Jahr beschlossenen Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung («Sustainable Development Goals») setzen sollte, «indem alle Finanzierungsströme und -politiken auf wirtschaftliche, soziale und ökologische Prioritäten abgestimmt werden». Zehn Jahre nach Addis Abeba soll an der 4. Ausgabe der UNO-Entwicklungsfinanzierungskonferenz in dieser Hinsicht ein weiterer Meilenstein gesetzt werden.
Entsprechend geht es in diesem UNO-Prozess um viel mehr als «Entwicklungsfinanzierung» im Sinne der Internationalen Zusammenarbeit (official development assistance, ODA). Die Frage, wie die ärmeren Länder mehr eigene Mittel aufbringen können («domestic resource mobilisation») steht im Zentrum. Damit figurieren auch Massnahmen gegen Steuervermeidung und unlautere Finanzflüsse (illicit financial flows, IFF) prominent auf der Agenda. Ebenso spielen die Themen Schulden und Entschuldung, Handel und Entwicklung, systemische Fragen der internationalen Finanzarchitektur und die Rolle von Unternehmen («domestic and international private business and finance») eine zentrale Rolle.
Das «Outcome Document» der Konferenz
Nach viermonatigen Verhandlungen wurde die Schlussdeklaration für die Konferenz in Sevilla, die in der ersten Juli-Woche stattfindet, am 17. Juni am UNO-Hauptsitz in New York bereits beschlossen. Mit Ausnahme der USA wurde das Dokument von allen UNO-Mitgliedsstaaten angenommen. Die USA wollten darin jeglichen Bezug zur Agenda 2030 beseitigen, aus der sie sich bereits kurz nach Trumps Amtsantritt zurückgezogen haben. Zudem kündigten sie an, auch nicht an der Konferenz in Sevilla teilzunehmen. Die Schlusserklärung trägt den Namen «Compromiso de Sevilla» (Bekenntnis von Sevilla). Im Folgenden einige Schlüsselstellen der Schlusserklärung (Reihenfolge gemäss Dokument).
Inländische öffentliche Ressourcen («domestic public resources»)
Hier geht es einerseits um Reformen, die die nationalen Steuersysteme verbessern sollen. Unter anderem soll der informelle Sektor der Wirtschaft (zum Beispiel kleine unabhängige Lebensmittel-Läden oder Ein-Mann-Taxibetriebe) besteuert werden. Entwicklungsländer (Wir verwenden hier die in UNO-Dokumenten übliche Terminologie) sollen dabei unterstützt werden, den Anteil der Steuern am Bruttoinlandprodukt (BIP) auf mindestens 15 Prozent zu erhöhen. Heute liegt dieser Anteil in den meisten Entwicklungsländern deutlich darunter, während er im OECD-Durchschnitt bei fast 34 Prozent liegt.
Deshalb geht es nicht nur darum, Steuersubstrat im Inland besser zu mobilisieren, sondern auch um die Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuervermeidung, durch die die Staaten jährlich hunderte Milliarden an potenziellen Steuereinnahmen an Steueroasen und Tiefsteuergebiete wie die Schweiz verlieren.
Dem entspricht die Schlusserklärung, indem sie progressive Steuersysteme als Ziel benennt und wesentliche Grundlagen für deren Funktionieren wie Steuertransparenz, sozialen Ausgleich und gleichberechtigten Zugang zu diesen anerkennt – sowohl was das gleichberechtigte Mitbestimmungsrecht der Länder des Südens in multilateralen Verhandlungen als auch die Gendersensibilität der Systeme anbelangt. Mit dem Willen, die Möglichkeit zu einer öffentlichen länderbezogenen Berichterstattung für multinationale Konzerne (Public Country-by-Country-Reporting) und globalen Transparenzregistern für die wirtschaftlich Berechtigten für Briefkastenfirmen weiter zu evaluieren, anerkennt auch die Schweiz hier langjährige zivilgesellschaftliche Forderungen. Wichtig wäre nun, dass diese Elemente ihren Weg aus dem «Compromiso de Sevilla», der einer Absichtserklärung der Staaten entspricht, in die rechtlich bindende UNO-Steuerkonvention findet. Umgekehrt enthält die Schlusserklärung auch ein Bekenntnis zu den steuerpolitischen Regeln der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und unterstützt deren nationale Umsetzungen. Damit droht ein Rückschritt auf UNO-Ebene, geht es hier doch darum, die UNO als wichtigste multilaterale Institution für Steuerpolitik zu etablieren und die OECD ins zweite Glied zu verschieben, da sie in den letzten zehn Jahren Verhandlungen auf Augenhöhe zwischen allen Weltregionen nicht garantieren konnte.
Inländische und internationale Unternehmen und Finanzinstitutionen («domestic and international private business and finance»)
An der Addis Abeba Konferenz 2015 waren sehr grosse Hoffnungen darauf gesetzt worden, dass private Unternehmen und Investor:innen sehr viel Geld in die Finanzierung der Agenda 2030 leiten würden. Die Weltbank gab dazu den Slogan «from billions to trillions» (von Milliarden zu Trillionen) aus. Doch es schwellten keine Ströme an, sondern weiterhin tröpfelte nur wenig Geld in die ärmsten Länder und in die wichtigsten Bereiche zur Umsetzung der Agenda 2030. Die Schlusserklärung hält dazu fest: «Trotz der zunehmenden Aufmerksamkeit für innovative Finanzinstrumente wie Blended Finance und der Verabschiedung von Gesetzen für nachhaltige Wirtschaft und Finanzen haben die Investitionen in nachhaltige Entwicklung weder die Erwartungen erfüllt noch wurde der nachhaltigen Entwicklung ausreichend Priorität eingeräumt.»
Der stark von den Industrieländern gepushte und geprägte Teil der Schlusserklärung macht viele technische Vorschläge, um mittels finanzieller Anreize (sprich Geld aus den IZA-Budgets) und der Übernahme von Risiken (durch öffentliche Akteure) privates Kapital loszueisen («increase the mobilization ratio of private finance from public sources»). Ebenso soll der «impact» von privaten Investitionen gesteigert werden.
Weitere Themen sind:
- die Rahmenbedingen für die Entwicklung des inländischen Finanz- und Privatsektors in den Entwicklungsländern
- der Zugang zu Krediten und Bankdienstleistungen für arme Menschen und die Verbesserung der Bedingungen für Überweisungen aus der Diaspora
- die Ausweitung ausländischer Direktinvestitionen
- und die nachhaltige Regulierung von Wirtschaft und Finanzen.
Internationale Entwicklungszusammenarbeit und Wirksamkeit («international development cooperation and development effectiveness»)
Seit 55 Jahren gilt in der UNO dasselbe Ziel; 1970 hatte die UNO-Generalversammlung beschlossen, dass die Industrieländer ihre ODA auf 0,7% des Bruttonationaleinkommens (BNE) erhöhen sollten. Dieses Ziel wird auch von der Schweiz mitgetragen, aber weiterhin nicht umgesetzt, wie auch die Peer Review der OECD kürzlich kritisiert hat. So halten es die meisten Länder des Globalen Nordens. Das Ziel wird auch im «Compromiso de Sevilla» einmal mehr bekräftigt, ebenso wie das später beschlossene Ziel, zwischen 0,15 und 0,2% des Bruttonationaleinkommens für die am wenigsten entwickelten Länder zu erreichen.
Die von vielen Entwicklungsländern und Organisationen der Zivilgesellschaft erhoffte Stärkung des UNO-Systems in der Diskussion um internationale Entwicklungszusammenarbeit schaffte es nicht in die Schlusserklärung. So bleibt der exklusive «donor club» der OECD der Ort, wo die Diskussionen geführt und Entscheide zur Ausrichtung der internationalen Zusammenarbeit gefällt werden.
Der internationale Handel als Motor für Entwicklung («international trade as an engine for development»)
Der Compromiso de Sevilla widmet fast fünf Seiten der Frage des Handels und der Investitionen als Triebkräfte der Entwicklungsfinanzierung. Fast schon ironisch mutet an, dass der Text der Schlusserklärung parallel zu Getöse von Donald Trump verhandelt wurde. Der Satz «ein universelles, regelbasiertes, faires, offenes, transparentes, berechenbares, inklusives, nichtdiskriminierendes und gerechtes multilaterales Handelssystem sollte zur Verwirklichung einer nachhaltigen Entwicklung beitragen (…)» klingt heute ganz anders als noch das letzte Jahr.
Zu den Massnahmen, die der «Compromiso de Sevilla» im Handelsbereich speziell hervorhebt, steht die Aktualisierung und Reformierung veralteter Investitionsabkommen. Ebenso sollen die ärmsten Länder in ihren Bemühungen unterstützt werden, Produkte vor Ort zu verarbeiten, anstatt landwirtschaftliche Rohstoffe und Mineralien zu exportieren.
Schulden und Schuldentragfähigkeit («debt and debt sustainability»)
Die Schulden der Entwicklungsländer waren in den Vorbereitungsverhandlungen das kontroverseste Thema. Und es ist sehr dringlich. Wie der Chefökonom der Weltbank Indermit Gill Ende letzten Jahres festhielt: «Seit 2022 haben ausländische private Gläubiger fast 141 Milliarden Dollar mehr an Schuldendienstzahlungen von öffentlichen Kreditnehmern in Entwicklungsländern eingezogen, als sie an neuen Finanzmitteln ausgezahlt haben. (…) Wir müssen der Realität ins Auge sehen: Die ärmsten Länder, die unter einer Schuldenlast leiden, brauchen einen Schuldenerlass, wenn sie eine Chance auf nachhaltiges Wirtschaftswachstum und dauerhaften Wohlstand haben sollen.»
Frühere Fassungen des Textes enthielten den Vorschlag, der von der G77-Gruppe der Länder und der internationalen Zivilgesellschaft unterstützt wurde, Verhandlungen über eine UN-Konvention zur Verschuldung und Entschuldung aufzunehmen. Dies, um endlich zu einem rechtsverbindlichen Instrument zur Umstrukturierung untragbarer Schulden zu gelangen.
Die Europäische Union hat zusammen mit Australien, Kanada, Japan, Neuseeland, der Schweiz und dem Vereinigten Königreich diese Bemühungen sabotiert. Im Abschlussdokument haben sich die Länder lediglich auf einen vagen Dialogprozess ge- 5 einigt, «mit dem Ziel, Empfehlungen zur Schliessung von Lücken in der Schuldenarchitektur und zur Erforschung von Optionen zur Bewältigung der Schuldentragfähigkeit abzugeben».
Internationale Finanzarchitektur und systemische Fragen («international financial architecture and systemic issues»)
Das Thema der Reform der Gouvernanz des globalen Finanzsystems ist ein Klassiker, bei dem es seit Jahrzehnten keine Fortschritte gibt. Dies hält der Compromiso gleich zu Beginn des Kapitels fest: «Von Monterrey bis Sevilla haben wir betont, wie wichtig es ist, die Reform der globalen Wirtschaftsordnung fortzusetzen und die Führungsrolle der Vereinten Nationen bei der Förderung der Entwicklung zu stärken, um eine stärkere, kohärentere und integrativere internationale Wirtschafts- und Finanzarchitektur zu erreichen.» Die Tradition der mantraartigen Absichtserklärungen wird auch im Schlussdokument der 4. Financing for Development Konferenz fortgesetzt.
Sowohl beim IWF als auch bei der Weltbank entsprechen die Stimmrechte in den Entscheidungsgremien schon lange nicht mehr dem wirtschaftlichen Gewicht der Länder. De facto haben die USA immer noch ein Veto und können alle Entscheide blockieren, auch die Länder der EU haben gemeinsam ein grosses Übergewicht. Der Compromiso geht nicht über die Benennung der Probleme und Formulierungen hinaus, wie z. B.: «Wir ermutigen (…), Optionen zur Verbesserung in Betracht zu ziehen».
Die Mitglieder des IWF werden in der Schlusserklärung hingegen aufgefordert, nicht genutzte Sonderziehungsrechte an Entwicklungsländer oder internationale Entwicklungsbanken weiterzugeben. Sonderziehungsrechte sind eine Art Reserveguthaben beim IWF, die von Ländern bei Bedarf in Hartwährungen getauscht werden können. Durch die Ausgabe von neuen Rechten (z. B. während der Covid-Krise) kann der IWF die Liquidität des Finanzsystems (mit)steuern. Sie könnten helfen, in der aktuellen Schuldenkrise Liquiditätsprobleme zu mildern.
Was die Schweiz nach Sevilla tun muss
An der Sevilla-Konferenz wird einerseits mit einer hochrangigen Teilnahme der Länder (in der Regel Staatschefs oder Ministerebene) der Compromiso abgefeiert. Die Schweizer Delegation wird von der Direktorin der DEZA (Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit) geleitet. Andererseits finden eine Vielzahl von Side-Events von multilateralen Organisationen, Regierungen und NGOs statt, das Programm der Nebenveranstaltung hat über 32 Seiten. Etwas konkreter soll die «Sevilla Platform for Action» werden. Gemäss dem UNO Department for Economic and Social Affairs (DESA) geht es darum, «Allianzen zu mobilisieren, um konkrete Massnahmen aus dem Ergebnisdokument der FfD4 umzusetzen und so zur Bewältigung gemeinsamer 6 Herausforderungen auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung beizutragen». Ob etwas und was an konkreten Aktionen herauskommen wird, ist noch völlig offen.
Die Schlusserklärung der 4. Entwicklungsfinanzierungskonferenz enthält keine der Entscheide, die dringend nötig wären, um die Vielfachkrise anzugehen. Und sie ist weit davon entfernt, ein Leitstern des Multilateralismus zu sein. Dennoch gibt sie in einigen Bereichen die Richtung vor, die auch die Schweiz ernst nehmen sollte. In folgenden Bereichen sollte die Schweiz handeln:
- Konstruktive Mitarbeit in den Verhandlungen zur UNO-Steuerkonvention, Suchen von Allianzen mit Ländern des Globalen Südens anstelle von Blockie[1]rung aus Eigeninteresse.
- Die internationale Zusammenarbeit muss die Reduktion von Armut und Ungleichheit in den Vordergrund stellen. Dies bedingt einen konsequenten Fokus auf die ärmsten und am meisten gefährdeten Menschen dieser Welt.
- Anhebung der öffentlichen Entwicklungsfinanzierung auf 0,7% Prozent des Bruttonationaleinkommens und 0,2 Prozent für die am wenigsten entwickelten Länder.
- Realistische Einschätzung der Rolle, die die Mobilisierung von Privatkapital für nachhaltige Entwicklung spielen kann. Knappe öffentliche Mittel sollten nicht für Risikominimierung (und Gewinnoptimierung) von Privaten verwendet werden, und Qualitätsstandards in Bezug auf Transparenz, Überwachung und Rechenschaftsmechanismen müssen sichergestellt werden.
- Unterstützung von Massnahmen zur Förderung der Nachhaltigkeit in Geschäftsmodellen und -praktiken, zur Förderung von Nachhaltigkeit und Wirkungsmanagement sowie zur Bekämpfung von Greenwashing und Impact Washing.
- Investitionschutzabkommen (ISA) mit den Ländern des Globalen Südens neu verhandeln, damit diese im öffentlichen Interesse regulieren können. Die Schweiz soll auf den Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten verzichten, wie dies in der Hälfte der seit 2020 auf internationaler Ebene ausgehandelten ISA der Fall ist.
- Die Einfuhr aller Produkte aus den am wenigsten entwickelten Ländern soll zoll- und kontingentfrei möglich sein. Heute gilt dies nur für Rohstoffe (z. B. Kakao), während die Zölle auf verarbeitete Produkte (z. B. Schokolade) hoch sind.
- Die Entwicklungsbanken, allen voran die Weltbank, sind dabei, auf Druck der USA ihre erst kürzlich gemachten Klimaversprechungen wieder rückgängig zu machen. Die Schweiz muss sich dafür einsetzen, dass dies nicht geschieht.
- Die Sonderziehungsrechte, die die Schweiz im Rahmen von IWF-Ausschüttungen erhielt und weiter erhalten wird, soll sie über multilaterale Fonds am wenigsten entwickelten Ländern zur Verfügung stellen.
Der «Compromiso de Sevilla» und auch dessen optimistischste Umsetzung in der Schweiz reichen bei weitem nicht. Welchen neuen Deal es für eine gerechte Transition zur Überwindung der Vielfachkrise brauchen würde, hat Alliance Sud in einer neuen Publikation festgehalten.

Marco Fähndrich
Alliance Sud
Links:
Sonderheft Global „Der neue Deal„
Offizielle Webseite der 4. internationale UNO-Entwicklungsfinanzierungskonferenz (FfD4)