Die NGOs sind wichtig für die soziale Entwicklung der Welt
Welche Bedeutung hatte dieser Weltsozialgipfel der UNO?
1995 wurde am ersten Weltsozialgipfel der UNO die bahnbrechende Kopenhagener Erklärung verabschiedet. Sie machte die soziale Entwicklung zu einem zentralen Anliegen der Weltgemeinschaft. Während in den letzten 30 Jahren beachtliche Erfolge bei der Armutsreduzierung erzielt wurden, müssen wir feststellen, dass immer noch rund 817 Millionen Menschen in extremer Armut leben. Wirtschaftswachstum allein reicht nicht aus, um die soziale Gerechtigkeit herzustellen, das wurde immer wieder betont.
Der Weltsozialgipfel rückt diese Perspektive wieder in den Fokus. Annalena Baerbock, Präsidentin der UNO-Generalversammlung, charakterisierte in ihrer Ansprache diese Konferenz als entscheidend für die „letzte Meile“ beim Aufbau widerstandsfähiger Gesellschaften, die gesellschaftliche Spaltungen überwinden können.
Sie haben in der Schweizer Delegation die Zivilgesellschaft vertreten. Wie war die Rolle der Nichtregierungsorganisation, also der NGOs, an dieser Konferenz?
Die NGOs waren sehr präsent, das war gut sichtbar am Civil Society Forum. Von der Seite der Vertreterinnen und Vertretern von Regierungen gab es viel Bestätigung dafür, was die Bedeutung der zivilgesellschaftlichen Organisationen betrifft. Sie seien wichtig, um gute Lösungen in der Politik zu finden und dazu beizutragen, diese in die Realität umzusetzen. Bei mir kam die Frage auf, ob das nicht nur schöne Worte sind und ob die entsprechenden Taten wirklich folgen, das heisst die zivilgesellschaftlichen Organisationen dann wirklich auch am Tisch sitzen und ihre Stimme ernst genommen wird.
Zum Glück gab es auf dem Podium Wortmeldungen, die genau dies auch zur Debatte stellten. Klar wurde dabei: Wenn es um soziale Entwicklung geht, müssen die Bedürfnisse der Menschen im Zentrum stehen. Und es muss das Globale mit dem Lokalen verbunden werden. Als NGOs haben wir direkten Zugang zu den benachteiligten Gruppen und bringen ihre Stimme ein.
Wie lässt sich das umsetzen, so dass es nicht bei schönen Worten bleibt?
Es braucht ein starkes Bekenntnis von Regierungen weltweit, dass wir zivilgesellschaftlichen Organisationen unseren Platz erhalten und dass mit uns zusammengearbeitet wird. NGOs haben sehr viel zu den Erfolgen der letzten 30 Jahren in der Bekämpfung der Armut beigetragen. Auch das wurde immer wieder betont. Die am Summit verabschiedete Doha-Deklaration bekräftigt jetzt auch, dass es die diese wichtige Stimme und Rolle der NGO weiterhin braucht.
Wie positionierte sich die Schweiz an diesem Gipfel?
Die Schweiz hat kein Mitglied des Bundesrates an den Weltsozialgipfel delegiert, was sehr bedauerlich und leider kein gutes Zeichen ist. Ich fand die Rede der Schweizer Delegationsleiterin, Botschafterin Valérie Berset Bircher vom Staatssekretariat für Wirtschaft SECO, bemerkenswert.
Sie sagte, dass man zwar auf Erfolge seit dem ersten Weltsozialgipfel in Kopenhagen im Jahr 1995 zurückblicken könne, dass man aber auch ehrlich sein und Defizite benennen müsse. Sie wies auch darauf hin, dass der Multilateralismus in einer Krise sei. Dieser sei für die Überwindung der Armut zentral und müsse mit der hier verabschiedeten Deklaration neuen Schwung erhalten.
Wie gestaltete sich der Austausch innerhalb der Schweizer Delegation?
Der Austausch war sehr gut und aufschlussreich. Die Gespräche mit den anderen Vertreterinnen und Vertretern der Schweizer Delegation haben mit gezeigt: Es ist eine gemeinsame Arbeit, die zwischen der Regierung, der Privatwirtschaft und den NGO auszugestalten ist. Wir teilen viele Ziele, und wir können uns ergänzen. Darauf vertraue ich.
Auch die Schweiz steht bei der sozialen Entwicklung und bei der Beseitigung der Armut noch nicht da, wo sie stehen müsste. Und sie kann sich nicht einfach zurückziehen, wenn es um die internationale Solidarität gegenüber ärmeren Ländern geht.
Was ist Ihnen besonders aufgefallen?
Die Digitalisierung war ein sehr präsentes Thema an diesem Gipfel. Die Herausforderung besteht darin, dass sie nicht weitere Gräben schafft: zwischen den Ländern des Nordens und Südens oder auch zwischen Männern und Frauen. Technologien bieten enorme Chancen für die soziale Entwicklung, aber sie kann auch Ungleichheiten verstärken und fortschreiben. Insgesamt müssen wir uns sehr bewusst sein, dass nicht alle Menschen einen positiven Nutzen ziehen können aus der Digitalisierung.
Was stimmt Sie nachdenklich?
Die Wichtigkeit der NGOs wurde immer wieder betont in den letzten Tagen. Trotzdem war auch erkennbar, dass viele NGOs um ihre Existenz kämpfen und sich behaupten müssen. Es wird zu wenig gesehen, welchen Beitrag sie leisten. NGOs sind nicht immer beliebt, weil sie auch auf unbequeme Dinge aufmerksam machen. Deshalb werden sie und ihre Existenz teilweise auch infrage gestellt oder ihr Handeln und ihre Motive schlecht dargestellt.
Damit wir aber weiterkommen, braucht es diese Stimmen. Botschafterin Berset Bircher sagte in ihrer Rede, dass die soziale Entwicklung der Zement der Gesellschaft sei. Die NGOs tragen viel für den Zusammenhalt bei.
Wie geht es weiter?
Der Weltsozialgipfel ist erst ein Anfang, oder wie es Annalena Baerbock gesagt hat: Doha ist nur ein Meilenstein für eine faire, gleichberechtigte globale Zukunft.
Titelbild: Die Schweizer Delegation am Weltsozialgipfel wurde geleitet von Botschafterin Valérie Berset Bircher vom Staatssekretariat für Wirtschaft SECO (5. von links). © Caritas Schweiz
