Neuer UNO-Bericht: Ungenügende Fortschritte bei der Gleichstellung
30 Jahre nach der Verabschiedung der Pekinger Aktionsplattform zieht der neue UN-Bericht Gender Snapshot 2025 eine ernüchternde Bilanz: Die Welt ist von echter Gleichstellung der Geschlechter noch weit entfernt. Zwar gibt es Fortschritte – doch sie kommen zu langsam, zu fragil und es bestehen noch grosse regionale Unterschiede. Auch im Rahmen der Agenda 2030 bleibt die Umsetzung von Ziel 5 (Geschlechtergleichstellung) ein entscheidender Prüfstein für nachhaltige Entwicklung insgesamt.
1995 haben die Länder die Pekinger Aktionsplattform verabschiedet. Sie gilt bis heute als umfassendster globaler Fahrplan für Frauenrechte. Die Plattform benennt zwölf kritische Handlungsbereiche, in denen Staaten weltweit Gleichstellung verwirklichen sollten – viele davon sind noch immer unerfüllt. Die Agenda 2030 baut auf diesem Fundament auf: Ohne Gleichstellung (SDG 5) und die Beseitigung von Armut (SDG 1) sind kaum Fortschritte in den übrigen Nachhaltigkeitszielen der UNO möglich.
Armut trägt ein weibliches Gesicht
Rund 9,2 Prozent aller Frauen und Mädchen leben in extremer Armut. Besonders betroffen: Frauen in Subsahara-Afrika und Süd- und Zentralasien. Frauen leisten weltweit zweieinhalbmal mehr unbezahlte Sorge- und Hausarbeit als Männer – eine zentrale Barriere für SDG 8 (menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum). Die besondere Vulnerabilität von Frauen zeigt sich auch im Alter, wenn ihre Renten häufig nicht ausreichen, um ein selbstbestimmtes und würdiges Leben zu führen – ein strukturelles Problem, das jahrzehntelange Einkommens- und Care-Ungleichheit widerspiegelt. Um wirksame Massnahmen zu entwickeln, ist eine systematische und geschlechterdifferenzierte Datensammlung unerlässlich.
Hunger, Gesundheit und Unsicherheit
Die Folgen von Ernährungsdefiziten sind bei Frauen und Mädchen besonders schlimm. Anämie, oft Folge mangelnder Ernährung, erhöht z.B. in der Schwangerschaft das Risiko für Frühgeburten und niedriges Geburtsgewicht. Sie beeinträchtigt das Wachstum und die Lernfähigkeit von Kindern, insbesondere in ärmeren Haushalten, und gefährdet die Arbeitsfähigkeit. In Südasien verursacht Anämie jährlich geschätzte Verluste in Höhe von 32,5 Milliarden US-Dollar und trägt so zur Aufrechterhaltung des Kreislaufs aus Armut und schlechter Gesundheit bei.
Wegen der anhaltenden Unterfinanzierung von Gesundheits- und Ernährungsprogrammen droht die Anämierate weltweit von 31,1 % (2025) auf 33 % (2030) zu steigen – weit entfernt vom Ziel, sie bis 2030 zu halbieren. Damit werden zentrale Anliegen von SDG 2 (kein Hunger) und SDG 3 (Gesundheit und Wohlergehen) verfehlt.
Fortschritt mit Grenzen
Zwar überholen Mädchen weltweit Jungen bei der Einschulung – doch beim Schulabschluss, besonders in Afrika und Asien, hinken sie weiter hinterher. Und in Führungspositionen bleibt Gleichstellung in weiter Ferne: Nur 27,2 Prozent der Sitze in nationalen Parlamenten sind laut dem Bericht von Frauen besetzt, und in Chefetagen beträgt ihr Anteil 30 Prozent.
Im aktuellen Tempo wird es fast 100 Jahre dauern, bis Frauen in der Wirtschaft gleichberechtigt führen – ein Rückschlag für die Verwirklichung von SDG 4 (hochwertige Bildung) und SDG 10 (Weniger Ungleichheiten).
Digitale Chancen – und neue Ungleichheiten
In einer zunehmend digitalen Welt bestehen weiterhin geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Internetnutzung: Weltweit nutzen rund 65 % der Frauen und 70 % der Männer das Internet – hinter diesen globalen Durchschnittswerten verbergen sich jedoch erhebliche regionale Unterschiede, die in vielen Ländern Frauen deutlich benachteiligen.
Dabei könnte die digitale Inklusion ein Gamechanger sein: Wenn Frauen weltweit gleichen Zugang zu Technologie und Bildung hätten, könnten über 340 Millionen von ihnen profitieren.
Gewalt, Krieg und Klimakrise – alte Wunden, neue Bedrohungen
Jede achte Frau erlebt jährlich körperliche oder sexuelle Gewalt durch ihren (Ex-)Partner. In Konflikten und Kriegen sind Frauen besonders gefährdet: Sie stellen mehr als die Hälfte der Vertriebenen weltweit. Und die Klimakrise droht, weit über 150 Millionen Frauen zusätzlich in Armut zu stürzen.
Vergewaltigung wird noch immer als Kriegswaffe eingesetzt – ihre Ächtung bleibt vielerorts Theorie. Die UNO-Resolution 1325 Women, Peace and Security mahnt seit über zwanzig Jahren, Frauen in Friedensprozesse einzubeziehen und zu schützen. Doch bis heute fliessen Milliarden in Waffen, während Bildung und Pflege unterfinanziert bleiben. Hier zeigt sich die Dringlichkeit eines kohärenten Handelns im Sinne von SDG 16 (Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen).
Was jetzt zählt
Der Bericht ruft im Rahmen der Beijing+30 Action Agenda zu sechs globalen Schwerpunkten auf:
- Digitale Teilhabe für Frauen und Mädchen
- Bekämpfung von Armut
- Null Gewalt
- Gleiche Entscheidungs- und Führungsrechte
- Frieden, Sicherheit und Klimagerechtigkeit
- Stärkung von Frauenorganisationen weltweit
Fazit
Drei Jahrzehnte nach Peking bleibt Gleichstellung ein unerfülltes Versprechen. Fortschritt ist nur möglich, wenn politische Zusagen durch konkrete Taten und ausreichende Investitionen – öffentliche, aber vor allem auch private – unterstützt werden. Frauen tragen weltweit die Hauptlast von Krisen – von Armut über Gewalt bis zur Klimakatastrophe. Doch sie sind auch treibende Kräfte für Wandel.
Die Beijing+30 Action Agenda zeigt Wege auf, wie gerechte Teilhabe, Sicherheit und Chancen für alle möglich werden – ganz im Sinne der Agenda 2030, die niemanden zurücklassen will (leave no one behind). Regierungen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft müssen jetzt gemeinsam handeln.
Laura Pascolin
NGO-Koordination post Beijing Schweiz